62. Tag: Miramont-Senzacq – Lareulle

Samstag, 5. Oktober 2019
Strecke: 29,3km – Etappe: 167,8km – Gesamt: 1.824,3km
Gehzeit: 8:45 brutto / 6:30 netto.

Das Frühstück setzt die geschäftige Stimmung des Vorabends geräuschvoll fort. Allerdings sind wir am späten Ende der Tafel unterwegs. Dennoch entsteht keine Hektik. So toll sieht das mit dem Wetter da draussen jetzt auch nicht unbedingt aus. Trotzdem sind wir um halb neun vor der Tür, ein Rucksack wird wieder transportiert.

Wir bekommen noch mit, wie die älteren Herren ihr Gepäck in ein Auto laden und lassen uns das erklären: Naja, im Vergleich zu seinen 90 Jahren wären die anderen ja noch Jungspunde, gerade so, dass sie nicht seine Söhne sein könnten. Aber dennoch würde keiner von ihnen in der infrastrukturell teilweise sehr dürftigen Gegend hier eine volle Tagesetappe schaffen. Zudem könne ja doch auch immer mal was schief gehen oder ein Knochen mehr als sonst Schmerzen.
Also fahren – je nach Tagesform zwei die erste Hälfte im Auto, warten irgendwo auf die anderen beiden, und dann tauschen sie. Das hätte zudem den enormen Vorteil, dass sie nicht mit vollem Gepäck laufen müßten und trotzdem abends alle Annehmlichkeiten eines vollen Rucksacks hätten. Moment mal?!? Die haben im Prinzip wie wir alle keine Ahnung, wo sie sind, was als nächstes kommt, aber sie verabreden sich irgendwo in der Pampa zum Treffen?!? Super!
Wir verabschieden uns und machen uns auf den Weg, der zunächst mal fast genauso weiter geht, wie er gestern aufgehört hat. Mais, aber doch tatsächlich auch einige Viehhöfe.
Nach etwa drei Kilometern kommt der Moment, auf den wir seit einigen Tagen vergeblich warten: Endlich sind am Horizont die Pyrenäen zu erkennen. Leider nur ein schwacher Scherenschnitt im Dunst.

Kurz drauf fällt der Weg etwa 80 Höhenmeter ab und erreicht bei etwa 5 Kilometern den Friedhof von Sensacq. Vom Friedhof sieht man zunächst nichts, eine für die Gegend typische Kapelle erhebt sich sowohl trutzig als auch wettergeformt aus den Feldern.

Durch diese hohle Gasse muß er kommen!

Der Weg zieht sich weiter durch die Felder, wieder ein wenig aufwärts, und etwa bei Kilometer 7 verschwindet er für ein gutes Stück in einem kleinen Gehölz, das nach den Flächen der letzten Tage eine sehr kurzweilige und abwechslungsreiche Stimmung verbreitet.
Kurz darauf erreichen wir den ersten Ort des Tages, Pimbo. Ein recht nettes Dorf, in das man nicht entlag der ansonsten üblichen ellenlangen Chaussee kommt, sondern plötzlich steht man mittendrin an der Kneipe vor der mächtigen Kirche.
Und wer steht da mit seinem Auto? Der 90-jährige Amerikaner und einer seiner Kumpels. Ja, hier haben sie den Wechsel des Tages geplant, netter Ort! Wir unterhalten uns noch einen Moment, er assistiert uns gerne bei Fotos – wann hat man schon mal Bilder, auf denen Beide drauf sind?
Und verabschieden uns mit dem Versprechen, an seinem Geburtstag auch unser Glas auf ihn zu heben (“Son, I don’t care about risk no more. At my age, every single day is a gift. It doesn’t matter what others think you should do. l’ll move my bones as long as I’ll be able to.”).
Noch Fragen? Das war jetzt aber mal sowas von das Wort zum Sonntag!

Der weitere Weg ist leiht beschrieben: Landein, landaus, durch endlose Maisfelder. Immerhin geht es nicht mehr so lange Strecken stur geradeaus, das Wetter ist deutlich heller, und ein wenig auf und ab geht es auch. Auch gibt es gelegentlich kleinere Ortschaften, freilich menschenleer und ohne nennenswerte Infrastruktur. Wir setzen da voll auf Arzacq-Arraziguet (etwa Kilometer 16), wo wir sehr lautstark und etwas chaotisch empfangen werden. Denn offensichtlich liegt der Ort an der Strecke eines in der Region stattfindenden Langstreckenlaufs. Dennoch finden wir in der Nähe der Kirche eine relativ ruhige Bank und bekommen auf dem Marktplatz auch einen Café au Lait. Aber im langsam anschwellenden Lärm suchen und finden wir bald das Weite.

Wir verlassen den Ort durch einen Hohlweg, in dem es aufgrund der jeden Moment entgegen kommenden Läufer recht beengt zugeht. Aber wir schaffen es noch bis zu einer Abzweigung, befor das führende Motorrad vorbeiknattert und die ersten Läufer vorbeihasten. Wir lassen den Lärm hinter uns und umrunden den See, bevor es wieder in die Felder geht.
Dominierend bleibt weiterhin Mais, aber es gibt ein wenig Abwechslung durch Geländeprofil und kleine Gehölze. Auch gibt es entlang des Weges weiterhin mehr Häuser.

So erreichen wir ohne weitere Höhen oder Tiefpunkte (abgesehen vom Streckenprofil) unser Ziel des Tages, fast schon, als wir daran zweifeln, im richtigen Ort zu sein.
Der Rucksack ist da, zunächst Mal alles bestens!
Was allerdings nicht bestens ist, ist, dass sich nach der Dusche, einem kleinen Nickerchen und dem Abendessen ein leicht warmes Ziehen an der Vorderseite des linken Unterschenkels zeigt. Schwach, aber nicht zu leugnen. Verdammt! Das fühlt sich an wie die Wundrose, die mich schon zwei mal heimgesucht hat. Wo zum Teufel habe ich mir die den dieses Mal eingefangen? Wirklich schon bei den dummen kleinen Blasen des ersten Tages?
Das ist jetzt natürlich samstagsabends im extrem ländlichen Frankreich ganz genau die richtige Zeit und der richtige Ort! Wenn das tatsächlich die Wundrose ist, läuft die Uhr, und ich brauche ein Antibiotikum!
Das dürfte morgen ziemlich aussichtslos sein. Vielleicht können wir wenigstens einen Ort erreichen, an dem es zumindest am Montagmorgen dann einen Arzt gibt.
Über diesen etwas trüben Gedanken wird es etwas langsamer dunkel als sonst…

Fazit des Tages:
Die Begegnung mit dem 90-jährigen war wirklich inspirierend!
Die restliche Etappe war weitgehend ereignislos, wie der Vortag.
Und: Ich habe wohl ein Problem mit meinem linken Bein. Trotz sorgfältiger Fußhygiene. Ein Antibiotikum in der Reiseapotheke könnte für den nächsten Abschnitt eine gute Idee sein!

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