Mittwoch, 3. Oktober 2018
Strecke: 27,2km – Etappe: 48,4km – Gesamt: 1.381,0km
Gehzeit: 7:45 brutto / 6:00 netto.
Sanft dringt das Lärmen des Weckers an die Schwelle meines Bewußtseins. Das Schlafzimmer war eng, die Luft nicht so gut, der Rotz füllt den Raum zwischen Ohren und Hirn dämpfend aus. Zumindest der, den ich nicht aushuste. Wir rappeln uns auf und gehen frühstücken.
Das Frühstück ist wie das Abendessen war: Reichlich, herzlich, viel Selbstgemachtes. Wir plaudern noch ein wenig mit unserem Wirt, und der gibt uns zwei tagesentscheidende Tipps: In Conques nicht die Gîte communale nehmen, sondern im Kloster schlafen. Erstens wegen der Atmosphäre, zweitens wegen der Bettwanzen. Er würde für uns dort anrufen, allerdings nicht jetzt, denn die Brüder gehen erst ans Telefon wenn die Pilger des Tages aus dem Haus sind und der Abwasch gemacht ist.
Außerdem sollten wir ab hier nicht der offiziellen Ausschilderung folgen, sondern einfach weiter die Straße runter bis nach Campuac und dort auf dem zentralen Platz an der Kirche rechts halten. Das wär’ schöner und ein wenig kürzer. Das scheint auf der Karte überschaubar, die Gegend sieht auch nicht nach großen landschaftlichen Überraschungen und Unwegsamkeiten aus.
Also starten wir angenehm ganz leicht bergab in einen – wie gewohnt – sonnigen Tag.
Zwar laufen wir auf der Straße, aber es gibt praktisch keinen Verkehr. Nach zweieinhalb Kilometern erreichen wir Campuac. Der Ort schläft noch. Erst beim zweiten Hingucken finden wir den erwähnten Durchgang rechts zwischen zwei Häusern. Es geht noch etwa fünf Kilometer so weiter, dann beginnt der nach wie vor bequem asphaltierte Weg, sich ins Tal zu schlängeln.
Das ist aber nur eine Täuschung, es geht auf den kommenden eineinhalb Kilometern etwa 75 Höhenmeter runter und wieder hoch. Dann geht es teilweise etwas kräftiger bergab, insgesamt etwa 225 Meter, bis wir etwa bei Kilometer 14 Espeyrac erreichen. Das empfängt uns mit einer sonnigen Bank auf dem Dorfplatz zur Mittagspause.
Nach dieser netten Pause geht es genauso energisch wieder bergauf wie es zuvor bergab ging. Schon zwei Kilometer später erreichen wir Senergues, das mit seinem markanten Donjon grüßt.
Der Weg steigt weiter auf seine ursprüngliche Höhe, die etwa bei Kilometer 18 erreicht wird. Dann führt er uns über ausgedehnte landwirtschaftliche Flächen näher an Conques. Zu sehen gibt es unterwegs nur die zwischenzeitlich doch etwas gewohnte Weite der Landschaft.
Dann, ganz plötzlich, stürzt sich der Weg als Pfad, den ich im Regen lieber nicht erleben möchte, innerhalb von zwei Kilometern um fast 300 Meter fürmlich ins Tal. Und ohne große Ankündigung oder Vorab-Panorama stehen wir in Conques. Der Ort ist von dieser Seite her äußerst kompakt, so dass wir die Kathedrale dort ohne Umschweife erreichen. Zunächst werfen wir nur von außen einen kurzen Blick auf das in den Ort gestanzte Gebäude. Denn unsere Herberge liegt offensichtlich direkt dahinter. Und man hat uns schon zuvor die abendliche Messe ans Herz gelegt, so dass wir sicher noch Zeit für die Kirche haben werden.
In der Herberge sind wir alles andere als allein. Hier wuselt es nur so. Dennoch wird streng auf zwei Dinge geachtet: Erstens bleiben die Schuhe unten im Innenhof, zweitens kommen die Rucksäcke in große Tüten. Wir bekommen ein ruhiges Zimmer direkt unter dem Dach mit einer Luke in Richtung äußerer Stadt – also da, wo der Weg morgen weitergehen wird.
Die Dusche ist eng und etwas dürftig, aber warm.
Wir gehen vor dem Abendessen noch kurz rüber in die Kirche, machen einen kleinen Rundgang. Das Innere der Kirche überrascht mit relativ viel freier Fläche und vergleichsweise zurückhaltendem Interieur. Wir sind etwas spät dran, also ab zum Abendessen.
Das gibt es in einem Saal, in dem alle Gäste – etwa 50 – Platz haben. Wir werden nett begrüßt, erfahren etwas über die Tradition des Baus und hören zum ersten Mal den Ohrwurm des Jakobswegs. Wir sitzen unter französischen Rentnern, die viel Zeit auf den französischen Jakobswegen verbringen. Es geht ihnen weniger darum, Santiago zu erreichen, da sind sie schon mit durch. Sie wollen alle französischen Jakobswege und Varianten kennenlernen. Das Essen ist etwas rustikal aber reichlich.
Nach dem Essen verlagert sich die ganze Gesellschaft zur Abendandacht mit Konzert in die Kirche. Hiervon hatte ich im Vorfeld Großes gehört.
Aber Gott hält sich nicht an Formen, Termine und Erwartungen. Einige der Mönche heben ihre Bücher vors Gesicht um ihr Gähnen zu verbergen. Und auch der Organist zieht bei weitem nicht alle Register, sondern dudelt ein wenig vor sich hin. Der Flügel im Seitenschiff bleibt ungenutzt.
Es folgt ein Rundgang durch die Kirche mit Erklärung der Architektur. Das ist sehr interessant, obwohl ich Probleme habe, die zügig angereichten Pointen auf Französisch in Echtzeit zu verarbeiten.
Nun denn, es war auf jeden Fall eine interessante Art, den Abend zu verbringen. Wir gehen zurück in unser Zimmer, und eh’ wir uns so recht versehen wird es wieder schnell Nacht…
Fazit des Tages:
Eine sehr schöne Etappe durch eine sehr ruhige Gegend. Mal wieder. Von den vielen Menschen, die wir am Abend treffen, war tagsüber nichts zu sehen. Aber es lässt sich nicht leugnen, dass der Weg nun nach und nach etwas ausgetretener und populärer wird.