30. Tag: Propières – Charlieu

Samstag, 15. Oktober 2016
Strecke: 39,5km – Etappe: 96,4km – Gesamt: 952,6km
Gehzeit: 10:45 brutto / 8:00 netto

Propières begrüßt uns trotz eigentlich sehr netter Wettervorhersage nicht gerade mit Kaiserwetter. Trotzdem kommen wir zügig in die Schuhe und auf die Straße; nur eine gefühlte Viertelstunde nach zwei nicht allzu Gesprächigen, offensichtlich ebenfalls wandernden älteren Damen.Im Ort verzetteln wir uns fast. Denn den Stempel gibt es in der Epicerie, und da gibt es außerdem noch eher mäßig freundlichen Service aber ziemlich leckere Sachen, mit denen wir unseren Proviant auffüllen. Mein Dank für den Service ist, das soeben erstandene Baguette vor den Augen des Verkäufers in der Mitte zu falten damit es bei Regen nicht aus dem Rucksack schaut. Die Hülle eines Weißbrots vor dem Servieren zu versehren scheint dem Blick nach zu urteilen ein Sakrileg zu sein – entweicht da gar das Aroma?

Die Streckenplanung für heute ist ziemlich gewagt. Denn es gibt in dieser Region direkt am Weg jetzt lange, lange nichts. Ein paar Gîtes, ein paar Gasthäuser, aber nichts mit verlässlicher, erreichbarer Telefonnummer. Sicherheitshalber reservieren wir mit genuscheltem Namen und ohne Kreditkarte ein Zimmer im einzigen gelisteten Hotel in Pont-du-Pierre, einem Vorort von Charlieu. Schweineteuer, unerreichbar weit weg, aber das einzige telefonisch zu reservierende Bett für heute Abend.

Na, dann mal los!
Der Weg begrüßt uns so, wie wir ihn gestern verlassen haben. Im Immerhin hellen Nebel geht es fast Richtung Süden bergab durch die Felder, um nach etwa 2km für die nächsten 8km stetig von etwa 570 bis auf knapp 870m anzusteigen. Etwa bei Kilometer 6,5 sehen wir vor uns zwei Gestalten links bergauf der offiziellen Wegweisung weiter bergauf folgen. Wir umgehen die Kuppe jedoch auf der Straße, denn der Weg sieht nicht so lecker aus und wir versprechen uns keine Aussicht. Und so überholen wir die beiden Damen aus dem Hotel ohne mehr über sie zu erfahren.

Jakobsweg Les Echarmeaux Waldweg

Mit Sonne und Schatten ist es einfach schöner!

Als wir bei etwa 10km den Col des Ecorbans erreichen ist ganz allmählich die Sonne herausgekommen und heizt uns auf den letzten Höhenmetern nochmal kräftig ein bevor der Weg im Wald verschwindet.

Wir kommen noch einen guten Kilometer weiter bevor wir erstmalig auf ein rares, in Deutschland praktisch unbekanntes Wildtier treffen: Enduro-Biker. Zweitakt, Viertakt, groß und klein, alles, was fährt und Krach macht. Die Spuren haben wir schon die ganze Zeit gelegentlich gesehen, aber nie ein lebendes Exemplar. Heute treffen wir sie massenhaft. Meist in Gruppen zu etwa vier oder auch mal nur Vater und Sohn.
Ein fürchterliches Getöse und mir absolut nicht geheuer!
Eines muß ich aber ganz klar lobend sagen: Die Jungs brettern durchs Gehölz als hätten sie sieben Leben. Am liebsten natürlich schotterige Single-Trails. Aber sie können’s wirklich! Und wannimmer uns der erste erahnt, geht die ganze Gruppe sofort und sehr kontrolliert in den Schleichgang und vermeidet jegliche Gefahr. Ganz Klasse! Natürlich bleibt die Sorge, übersehen oder Opfer eines Kollateralschadens zu werden. Aber sie geben sich offensichtlich alle Mühe. Auch wenn mich der Lärm natürlich stört: So geht rücksichtsvoller Sport!

Bei etwa 12,5km kommen einige extrem unwahrscheinliche Ereignisse zusammen. Erstens, die Sonne scheint, zweitens, die Mittagszeit naht, drittens, es gibt eine Bank , leider nicht ganz in der Sonne, viertens, es gibt so etwas wie Aussicht.

Gut gestärkt geht es weiter durch den Wald, begleitet vom Geräusch und Geruch eilig oxidierten Oktans. Es geht die nächsten Kilometer tendenziell sanft bergab.

Jakobsweg Nähe Le Charme Panorama

Hier gibt es vor allem blaue Ferne!

Immer mal wieder ist eine Parzelle des Nutzwaldes abgeholzt, vielleicht um dem gelangweilten Wanderer doch gelegentlich etwas Panorama zu eröffnen. Am Faszinierendsten an vielen Ausblicken ist die konkrete Aussicht, entweder ganz da hinten hinter dem Horizont irgendwo her zu kommen – oder eben irgendwo da vorne hin zu wollen. Absolut erstaunlich, welche gefühlten Entfernungen sich zu Fuß bewältigen lassen, sogar in relativ kurzer Zeit!

Jakobsweg Nähe Le Cergne Hohlweg

Eher ein ausgewaschener als ein ausgetretener Pfad!

Von Kilometer 16,5 bis Kilometer 18 geht es nochmal merklich bergauf (690m auf 800m), und der Weg läßt sich kaum anders als “grob” nennen. Es handelt sich hier weniger um einen ausgetretenen als einen ausgewaschenen Teil des Jakobsweges, und der ist durch die ergiebigen Regenfälle der vergangenen Tage noch sehr saftig.

Und von nun an geht es stetig bergab. Wir erreichen bei Kilometer 20 Le Cergne, das uns mit ziemlich absoluter Ruhe empfängt. Weder ist uns danach noch haben wir Zutrauen, hier spontan eine Unterkunft zu finden.

Jakobsweg Les Pins Wegweiser nach überall

Egal wohin. Es ist immer richtig!

Der Weg wird nun etwas verspielter, und das äußert sich auch an der Wegweisung. Der Jakobsweg selbst ist allerdings weiterhin zweifelsfrei und tadellos ausgeschildert, und die GPS-Spur läßt praktisch keinen Irrtum zu. Und so vergehen ein paar Kilometer im Spiel zwischen Weiden und Wald.

Etwa bei Kilometer 22 bietet die Kapelle eines unversehrt aus dem Deutsch-Frankzösischen Krieg Heimgekehrten die Gelegenheit zu einer kurzen Rast.

Es ist aber gerade etwas kalt und schattig, und so schauen wir uns nur kurz um das verschlossene Gebäude herum um.
Arcinges bei Kilometer 24 macht infrastrukturell auch keinen Mut, wenngleich ein Lama-Hof mit zahlreichen anderen Nutztieren Kurzweil spendet und wir direkt vor der Kirche einen sehr schönen sonnigen Platz für eine Rast finden.

Es folgt Weideland, sehr viel davon. Das sieht kaum danach aus als ließe sich da irgendwo spontan eine Unterkunft finden.

Die letzte Chance darauf verspielen wir halb bewußt als wir bei Kilometer 26,5 der Wegweisung auf die gegenüberliegende Seite des Tälchens folgen statt uns rechts Richtung Mars zu halten.

Kurz drauf zeigt sich Mars sehr schön auf einem kleinen Hügel in der immer tiefer stehenden Sonne. In dem kleinen Wäldchen erfahren wir durch ein an einen Baum genageltes Motorrad-Nummernschild, daß der Enduro-Sport wohl bisweilen auch Opfer fordert.

Die folgende Gegend ist absolut herrlich, aber die immer länger werdenden Schatten machen uns in Zusammenhang mit dem Fehlen jeglicher Infrastruktur und mit jetzt knapp 30 Kilometern in den Beinen doch etwas unruhig.

Hier ist nun wirklich weit und breit nichts, es muß jetzt weiter gehen, und zwar im Wettlauf gegen die immer stärker werdende Dämmerung!

Jakobsweg Les Oliviers Weide im Abendrot

Das letzte Bild des Tages. Jetzt wird’s langsam echt zäh!

Es geht weiter tendenziell bergab, durch endlose Weiden.
Kein Ende in Sicht, es scheint endlos weiter zu gehen. Der klare Himmel läßt die Temperatur ziemlich schnell spürbar fallen.
Und dann geht hinter uns der Mond auf. Vollmond, riesengroß! (Wie ich später erfahre, der erste “Super-Vollmond”.)
Das ändert aber auch nichts daran, daß es hier in der Pampa schlichtweg dunkel ist! Wir erahnen unseren Weg mehr als wir ihn wirklich sehen und beißen uns einfach nur noch durch.

Bei Kilometer 34 treffen wir auf eine Straße und ignorieren die weitere Wegweisung. Denn diese Straße wird uns sicher (?) nach Pont-du-Pierre bringen.
Das erreichen wir ab Kilometer 35 dann so nach und nach, glücklicherweise ist auf der Straße nicht viel Verkehr. Wir folgen ihr einfach weiter, alle abweichenden Wegweisungen oder mögliche Abkürzungen durch geschotterte Wege ignorierend. Wir sind völlig durch, jetzt ist einfach trittsicherer, glatter Asphalt ohne jegleiche navigatorische Herausforderung gefragt!

In Pont-du-Pierre angekommen ist die Navigation zum Hotel ein Klacks. Einfach entlang der Straße. Dort angekommen werden wir empfangen wie Gäste aus einer anderen Welt.
Das sind wir zweifelsfrei auch, denn das ist ein Hotel, das sich eher an Geschäftsreisende richtet. Und die sitzen jetzt schon beim Diner. Von Essen kann hier keine Rede sein, denn hier zählt vorwiegend die Form!

Eine Dusche später sitzen auch wir am Tisch und überlegen, das gestärkte Tischtuch zu benagen. Das Menu des Tages ist zwar ganz gut, aber heute wäre eigentlich einfach ein großes Bier und eine große Pfanne Bratkartoffeln gefragt gewesen.

Nun gut, wir sind hier, wir haben keine Wahl, also lassen wir’s uns schmecken.

Und kurz drauf wird’s mit kurzem Blick in den Garten aber sowas von rabenschwarze Nacht, da kann der Super-Vollmond einpacken!

Fazit des Tages:

Grenzen sind nur dann Grenzen, wenn man sie gelegentlich zu verschieben versucht. Das war heute so ein Tag. Mein Wanderpartner gesteht mir beim zweiten Bier, daß er bei etwa 32 Kilometern ganz knapp davor war, wahllos Teile der Ausrüstung auf Nimmerwiedersehen in die Landschaft zu pfeffern. Vielleicht waren wir hinsichtlich der Unterkunft zu wählerisch und hätten unterwegs irgendwo günstig und einfach unterkommen können. Aber der Wille hat uns durch den Tag gezogen, bis zum Ende.

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