19.Tag: Langres – Auberive

Mittwoch, 14. Oktober 2015
Strecke: 31,2km – Etappe: 117,6km – Gesamt: 631,9km
Gehzeit: 7:00 brutto / 5:45 netto

Die Nacht war ruhig und angemessen lang.
Denn weil Karl heute den Heimweg antreten möchte und ich auch eine etwas kürzere Etappe anstrebe, kann der Tag ruhig etwas langsamer beginnen. Zumal es draußen wenig einladend dunkel und diesig ist.
Dennoch stehen wir gegen 9 vor der Tür und suchen im Nieselregen eine Stempelstelle.
Bevor ich mich vor die Tür getraut habe, habe ich das mäßig freundliche Fräulein an der Rezeption noch dafür gewinnen können, einige mögliche Unterkünfte für die Nacht abzutelefonieren. Sie telefonierte recht lange mit meiner Unterkunft für die Nacht und drückte mir eine etwas abstrus wirkende Wegbeschreibung in die Hand. Ich kann mir keinen Reim darauf machen, weiß letztlich nur, daß die Unterkunft nicht in Downtown Auberive ist und ich tagsüber mal besser die Augen offen halten sollte. Immerhin, ich habe ein Bett für die Nacht, ich muß es nur finden.
Und dort ist auch das Abendessen vereinbart, denn drumherum gäbe es weit und breit Nichts.
Also los, der Plan ist nun etwa 35km für den Tag, da ist dann am Ende auch noch Zeit, ein wenig nach der Unterkunft zu suchen…

Gemeinsam finden wir an einem Gebäude einen Hinweis, daß sich hier in der Region die zwei ältesten Pilgerwege Europas kreuzen.
Das Haus öffnet sich in einen netten Innenhof, die Brüder aber sind nicht da. Also hier kein Stempel.
Ein Stück weiter erhebt sich die Kathedrale dunkel in den grauen Morgen.

Drinnen kein Licht, keine Menschenseele, und natürlich auch kein Stempel.
Die Schilder Richtung Mairie weisen irgendwie auch keine eindeutige Richtung.
Und so trennen sich unsere Wege:
Karl hat noch etwas Zeit, muß sich aber schon langsam darum kümmern, wann und wo sein Bus fährt.
Und ich muß den Weg aus der Stadt finden und sie hinter mir lassen.
Kurze Umarmung, beste Wünsche, und schon bald ist der andere nur noch ein Schatten im Nebel…
Ich werfe die Navigation an und versuche in Langres, den richtigen Ausgang zu finden. Der Weg führt mich tatsächlich noch an einigen Schildern vorbei, die glaubahft und gleichlautend die ungefähre Lage der Mairie andeuten, und nachdem ich eine Passantin gefragt habe, versuche ich es doch. Und bekomme meinen Stempel.
Kurz drauf verlasse ich die Stadt. Es geht bergab ins nächste Tal und vor mir öffnet sich ein großartiges Panorama.

Der nun folgende Tag läßt sich nur als einsam und menschenleer beschreiben.
Zwar komme ich durch die eine oder andere kleine Siedlung. Aber, wer bei dem Wetter nicht vor die Tür muß, bleibt halt doch daheim.
Es ist neblig, kühl und etwas windig. Zeitweise fällt der Nebel – es ist schon ein feiner Unterschied zwischen Nebel, Sprühregen und Nieselregen!
Der Weg führt mich gut zu finden vorwiegend asphaltiert oder hart geschottert mit einigen Metern bergauf und bergab durch landwirtschaftliches Gebiet. Alles sehr weitläufig und ereignislos. Keine Wolken, keine Sonne, keine Tiere, einfach weiter.
Plus Ultra, wie es Karl dem vierten zugeschrieben wird…
Etwas lauter ist bei etwa 15km die Überquerung einer Autobahn, aber schon bald ist davon nichts mehr zu hören, denn der Wind kommt aus der anderen Richtung.
In Perrogney-Les-Fontaines, bei etwa 18km kommt dann eine kleine aber sehr bedeutende Abwechslung.
Der Tag plätscherte bislang völlig ereignis- und abwechlsungslos vor sich hin, und so erregt der kleine Pfosten mit der Jakobsmuschel dran meine Aufmerksamkeit.

Jakobsweg Karte Unterkunft La Thuilliere

“Sie müssen den GR7 irgendwann verlassen um die Unterkunft zu finden!”

Zumal steht er neben einem im Sommer sicher herrlichen Schatten spendenden Baum und ich muß gerade mal für kleine Pilger…
Mit diesem Schild ergibt der Zettel in meiner Hosentasche plötzlich einen Sinn:
In der Tat haben die Wirtsleute dieses Abends an der Stelle, an der man sie anrufen müßte, wenn man jetzt noch keine Unterkunft hätte, ein Schild mit Wegbeschreibung aufgestellt!
Die Gegend ist erstens überschaubar und zweitens auf der Karte klar zu deuten.
Ich merke mir also, daß ich dem GR7 bis zur Straße folge und diese dann weiter entlang laufe bis es irgendwo glaubhaft nach links ab geht.

Jakobsweg Pierrefontaines Schuhe am Baum

Ja, aus der Serie hatte ich auch mal ein Paar. Und sie hatten das gleiche Problem…

Kurz bevor ich die Straße erreiche, entdecke ich Spuren eines Barfuß-Wanderers. Zumindest ab dort.

Ich bemerke mit Blick auf die Uhr und die vom Telefon aufgezeichnete Durchschnittsgeschwindigkeit, daß ich heute auch einen heißen Socken laufe. Aber mir geht es sehr gut dabei, und hier lenkt auch Nichts, abslout und wirklich Nichts, vom eigentlich Akt des Laufens ab! Also mal munter weiter, wenn’s läuft dann läuft’s!

Es geht nun lange und ausgiebig durch den Wald, zwischenzeitlich habe ich die Regenhose übergezogen.
Bergab läuft es fast von selbst, es gibt auch Nichts, was irgendwie ablenken könnte.
Bei etwa 26km erreiche ich die Ferme d’Acquenove, einen in die Landschaft geduckten Hof. Der Abzweig zum Hof ist eine Kreuzung, und hier haben sich die Wirtsleute des Abends mächtig ins Zeug gelegt.

Es gibt ein Schild, es gibt einen Weg, auf meiner Karte und in echt und er ist nicht allzu matschig. Also gehe ich bergauf und verschwinde bald im mal wieder absolut einsamen Wald.

Mich beschleichen leichte Zweifel, aber da entdecke ich eine Muschel an einem Baum.
Und so werde ich durch den teilweise sehr dunklen Wald – Mann, bin ich froh, daß es hier keine wilden Tiere gibt! – erst bergauf und dann wieder bergab geleitet.

Jakobsweg Haus La Thuilliere

Weit und breit sonst Nichts. Im Vordergrund übrigens die Straße nach Auberive.

Die letzte Stunde zieht sich ein wenig, aber schließlich erreiche ich ein völlig alleine stehendes Haus.

Ich nähere mich dem Haus in Erwartung eines der von mir so sehr geliebten großen, freilaufenden Hundes.
Aber es passiert nichts. Als ich klingele, öffnet mit eine nätte ältere Dame und bittet mich herein.
Ihr Gemahl sagt nichts, drückt mir einfach nur kurz die Hand ohne Aufzustehen.

Jakobsweg Haus La Thuilliere Schild

Hier bin ich wohl richtig!

Frau Vollmer führt mich in den ersten Stock in ein kleines Pilgerparadies, echt nett gemacht.
Recht neu renoviert, eine Mischung zwischen Pension und Herberge. Ich habe einen Raum mit Betten für fünf für mich alleine, bekomme aufgrund meiner Körpergröße sogar noch das längere Bett bezogen.
Herrlich gemütliche Atmosphäre.
Wir sprechen uns hinsichtlich des Abendessens ab, und ich ruhe mich noch ein wenig aus.
Das Abendessen ist eine Gemüsesuppe, aber davon reichlich und mit Wurst – und das ist genau das Richtige, denn nach dem Tag in Niesel und Wind bin ich doch irgendwie durch und durch klamm.
Und ich erfahre, daß der Herr des Hauses krankheitsbedingt nur durch mühsam handgeschriebene Zettel kommunizieren kann.
Schade, denn er hätte bestimmt eine Geschichte zu erzählen. Ich erfahre, daß er Mitte der Sechziger mit viel Glück und verletzt über die Mauer aus der DDR geflohen ist, nachdem er trotz einer im System viel versprechenden Pilotenstelle einige Zeit in Bautzen inhaftiert war…
Er freut sich sichtlich, Deutsch zu hören.

Schon bald nach dem Abendessen haue ich mich in die Kissen.
Nach den anstrengenden Tagen davor kann etwas mehr Schlaf nicht schaden.
Zumal die morgige Etappe wahrscheinlich wieder etwas knackiger wird.
Denn die Infrstruktur ist wieder mal nicht so dicht. Und die Wirtin des Hauses sagt mir schon, daß die Herberge am geplanten Zielort letztes Jahr dicht gemacht hat; wir müssten am nächsten Morgen ein wenig herumtelefonieren…

Fazit des dritten Tages:
Monotoner Tag durch trübes Gallien. Nicht allzu anstrengend.
Aber es darf ja auch mal etwas weniger sein.
Der nette Empfang und die Unterkunft am Abend sind auf jeden Fall ein Volltreffer und ein guter Grund, den Verlauf des Jakobswegs in dieser entlegenen Weltgegend nachaltig zu ändern!
Zumal der Weg an dieser Stelle etwas abkürzt. Ich bin mit etwa 31km im Ziel; nach Auberive wären es um die 35 gewesen.

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