45. Tag: Espalion – Fonteilles

Dienstag, 2. Oktober 2018
Strecke: 21,2km – Etappe: 21,2km – Gesamt: 1.353,8km
Gehzeit: 7:00 brutto / 4:45 netto.

Der Wecker klingelt zur Unzeit, so etwa um halb sieben, aber das macht nichts. Denn geschlafen haben wir ohnehin kaum. Ich hatte öfters Hustenanfälle und wußte nicht so recht, ob mir nun heiß oder kalt wäre. Ziemlich dösig rappeln wir uns auf, packen unsere Siebensachen zusammen und gehen rüber zum Bahnhof. Der Regionalzug von Toulouse nach Rodez steht püntklich bereit, und am Bahnhof können wir uns noch mit Leckereien für das Frühstück unterwegs eindecken.
Wir fahren in einen sonnigen Morgen. Von der Landschaft sehen wir leider trotz Doppeldecker nicht ganz so viel, denn die Bahnstrecke ist entweder etwas in die Landschaft gegraben oder aber die Böschungen sind dicht bepflanzt. Zudem dösen wir in Ermangelung von Kaffee noch ein wenig vor uns hin. Die Fahrt ist trotz der vielen Stopps federweich und sanft – die Franzosen können einfach Eisenbahn!
Pünktlich kommen wir in Rodez an und wackeln Richtung Bushaltestelle um dort unsere Möglichkeiten auszuloten. Die sind in den nächsten Stunden bescheiden. Gerade diskutieren wir, ob wir uns ein Taxi leisten wollen, da kommt noch ein weiterer Wanderer und geht Richtung Auskunftsschalter. Dort findet er auch nicht mehr heraus. Als ich ihn auf die gemeinsame Lösung unseres Problems anspreche, passiert wieder einer dieser kleinen Zufälle:

Ein recht nachlässig gekleideter Typ kommt des Weges und bestätigt, nein, Bus sieht schlecht aus. Aber er müßte sowieso in die Richtung, er könne uns mitnehmen, nein, das sei absolut kein Umweg, auch nicht, wenn der eine nach Estaing und wir nach Espalion wollten, sein Auto stünde direkt vor dem Bahnhof…
Ich erwartete nun eines dieser unverwüstlichen französischen Raumwunder à la Kangoo, aber weit gefehlt. Er weist auf ein ziemlich heruntergekommenes BMW 3er Coupé. Na, wird schon gehen… Dann erklärt er, der Kofferraum wäre leider voll, wir müßten unser Gepäck schon auf den Schoß nehmen. OK, dann braucht’s auch keinen Airbag mehr…
Wir holpern los, das Auto hält auch unterwegs, was es von außen versprach. Die Bremsen klingen sehr metallisch, die Kupplung rutsch bergauf hörbar durch, die Radlager drehen die kaum ausgewuchteten, abgefahrenen Reifen teilweise nur widerwillig. Unterwegs erklärt uns unser Fahrer, er wolle demnächst eine Autowerkstatt eröffnen (Sitzen wir gerade in seiner Referenz? Oder hat er dieses Auto bereits für Erstzteile ausgeschlachtet?), er sei gerade dabei, die Finanzierung für die Ausrüstung klar zu machen. Wie er die Finanzierung stemmen könnte, dämmert uns erst später, als wir darüber rätseln, warum er überhaupt am Bahnhof gewesen sein könnte und warum der Kofferraum nicht nutzbar war…
Sei dem, wie ihm wolle, wir sind um etwa 10.30 in Espalion auf der anderen Seite der Brücke und beginnen unsere Reise dort, wo wir sie das letzte Mal aufgehört haben.

Die Bäckerei an der Brücke hat auf und wir beginnen den Wandertag mit unserem ersten französischen Café. Gegenüber ist eine Apotheke, dort versorge ich mich mit Halstabletten und Hustenbonbons. Mehr nicht, denn wenn das mit der Erkältung wirklich Ernst wird, muß ich einfach da Pause machen, wo wir gerade sind.

Auch wenn die Brücke seinerzeit für die Pilger gebaut wurde, führt der Weg nun nicht mehr darüber, sondern direkt am Fluß lang und schnell aus der kleinen Stadt hinaus. Na, da sind wir also endlich wieder unterwegs!
Zwar aufgrund der schwebenden Erkältung und der ermüdenden Anreise mit etwas gemischten Gefühlen, noch ein wenig wie in einer Seifenblase. Und ohne echte Idee, wo wir die Nacht verbringen wollen. Aber wir sind zwiefelsfrei auf dem Weg, und der Rest wird sich dann schon wieder sortieren.
Weil wir doch einigermaßen bei Zeiten in die Schuhe gekommen sind, beschließen wir, erst Mal bis Estaing zu laufen und uns dann weitere Gedanken zu machen.

Kurz nach den letzten Häusern trennt sich der Weg vom Fluß und führt durch Weiden und Felder. Etwa bei Kilometer 4 geht es sehr entschlossen auf den ersten Hügel (etwa 150 Höhenmeter), mit besten Aussichten.

Zwei Kilometer später geht es ebenso entschlossen wieder herab, dann weiter durch die Felder und Weiden, bis wir etwa bei Kilometer 10 wieder in die Nähe des Flusses kommen. Mit dem zusammen schlängelt sich der Weg bis nach Estaing, das wir etwa bei 12,5 Kilometern erreichen. Ein Postkarten-Ort, das haben wir am Morgen schon gesehen. Der ausgeschilderte Weg führt eigentlich an der anderen Flußseite vorbei, aber diesen Abstecher werden sich die Wenigsten nehmen lassen.

Im Postkarten-Ort gibt es einen ausgiebig-sonnigen Café und den Ratschlag über den weiteren Verlauf des Tages. Auch wenn hier – trotz des offenen Restaurants – die Bürgersteige schon zum Saisonende hochgeklappt scheinen, gäbe es hier sicherlich eine Unterkunft. Andererseits wäre da so etwa 8 Kilometer von hier eine Herberge in Fonteilles verzeichnet. Die Sonne steht noch hoch, der Husten röchelt zwar ein wenig, aber das scheint möglich. Und so hätten wir dann auch eine realisitische Chance, morgen Conques zu erreichen.
Also machen wir uns – nachdem wir dort angerufen und uns erfolgreich angekündigt haben – weiter auf den Weg.
Der folgt dem Fluß noch etwa 4 Kilometer eben entlang dem bewaldeten Ufer und zweigt dann recht plötzlich bergauf ab.

Der Anstieg ist teilweise schon etwas rustikal, aber trocken.

So geht es die nächsten 3 Kilometer weiter, recht beständig etwa 300 Höhenmeter, zunächst durch den Wald, bald aber über sich immer weiter öffnende Lichtungen in freie Felder.

Fonteilles ist im Grunde recht leicht zu finden, denn rundherum ist nichts. Und die Unterkunft für die Nacht auch, denn der Ort hat – wie wir später erfahren – ein knappes Dutzend Einwohner und entsprechend wenige Häuser. Wir stehen zunächst vor verschlossenen Türen, erreichen den Wirt aber telefonisch. Der meint, wir sollten ruhig auf das Grundstück in den Pavillion gehen und uns an den Getränken bedienen, er wäre gleich da.
Es gibt Wasser mit Holundersirup und wir beobachten den Lauf der Sonne Richtung Horizont.
Das Gelände ist recht weitläufig, hinter einem der traditionellen Steinhäuser öffnet sich eine große Wiese, auf der in einiger Entfernung eine Handvoll Mobilehomes stehen. Der Rest sieht eher nach Campingplatz aus, und das ist es im Sommer wohl auch. Eines der Molbilehomes wird unsere Unterkunft. Der Wirt geht sehr offensiv mit der Frage der Hygiene um und ist aber entspannt als er erfährt, dass wir erst heute gestartet sind. Trotzdem sollten wir bitte die Schuhe und wenn möglich auch die Rucksäcke vor der Tür lassen. Er hätte keine Bettwanzen, wolle sie aber bitteschön auch nicht.
Eine Dusche und ein kurzes Nickerchen später finden wir uns zum Abendessen im Haupthaus ein; außer uns gibt es heute noch einen weiteren Gast.
Der Wirt tischt rustikal und üppig auf, viel Selbstgemachtes, läßt es auch an Wein nicht fehlen, und er erzählt seine Geschichte sichtlich gerne, hat Freude an seinen Gästen. Er erzählt die Geschichte seines Weges, berichtet von seinem Leben hier als Herbergsvater. Und wie ereigentlich dazu gekommen ist. Wir kommen nicht so ganz dahinter, aber das Grundmotiv hat etwas mit Streß und dem Abschluß mit einem Leben in der Schweiz zu tun. Das erkennt er auch in seinen Gästen, sagt er: Da sind immer mehr drunter, die von “Burnout” sprechen.
Wir verquatschen uns ziemlich, obwohl wir hundemüde sind.
Auf dem Weg zurück zum Wohnwagen schauen wir noch kurz in einen kolossalen, klaren Sternenhimmel.

Und dann wird es wieder schnell Nacht…

Fazit des Tages:

Der Start war ein wenig holperig, aber wir sind wieder auf dem Weg. Und das ist gut so! Die Etappe war in ihrer Länge gut gewählt, wenngleich auch durch die kurze Nacht zuvor ziemlich anstrengend und durch die Erkältung noch wie in Watte gepackt.

4 Replies to “45. Tag: Espalion – Fonteilles”

  1. Gerhard

    Ich bin gerade auf deinen ausführlichen Blog gestoßen und dabei sind natürlich wieder tolle Erinnerungen wach geworden. Ich war dort im September 2017 unterwegs und bin auch in Espalion zur 2. Frankreich – Etappe gestartet.
    Ich bin schon neugierig auf deine weiteren Berichte.
    Lg Gerhard
    https://gerhard.mlq.me

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    • Frank Author des Beitrags

      Dankedanke!
      Leider komme ich nicht so voran wie ich das gerne würde. Weder mit dem Schreiben noch mit dem Laufen.
      Es gäbe da noch so viel mehr zu entdecken – die Via Francigena zum Beispiel…
      Das Abenteuer beginnt vor der Haustür!

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      • Gerhard

        Ich schreibe meinen Blog “on stage”. Da fällt er natürlich knapper und nicht so ausgefeilt aus wie deiner. Zu Hause verarbeitet ich dann die Bilder zu Fotobücher. Da brauche ich aber auch meine Zeit. Nebenher plane ich die nächsten Wege. Wenn mein Romweg fertig ist, wäre Graz-Köln auf meiner Wunschliste. Das ist eine eher ungewöhnliche Strecke, die viel mehr Detailplanung erfordert als die “großen” Wege.
        In Deutschland verlaufen die Pilgerwege meist von NO nach SW. Ich muss aber von SO nach NW. Einen Grobplan habe ich schon. Hast du Erfahrungen? Vielleicht als PN.

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        • Frank Author des Beitrags

          Hallo Gerhard,
          da habe ich leider keine Erfahrungen. Wie gesagt, ich hab’ weniger Zeit als Lust zum Laufen…
          Gute Ideen gibt es aber immer hier: https://www.outdoorseiten.net.
          Die sind in der Sache immer ernsthaft, aber nur selten ernst. Sehr hilfreich und oft guter Lesestoff mit Geschichten vom Wegesrand.
          Schau’ mal nach den europäischen Fernwanderwegen, wie zum Beispiel dem E1.

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