Donnerstag, 4. Oktober 2018
Strecke: 26,1km – Etappe: 74,5km – Gesamt: 1.407,1km
Gehzeit: 9:30 brutto / 6:15 netto.
Der Massenbetrieb in der Herberge hat auch seine Vorteile: Eine klare Regelung hinsichtlich der Frühstückszeit und Zimmer-Freigabe zum Beispiel. Und so stehen wir einigermaßen bei Zeiten auf und um kurz vor neun schon auf der Straße. Die Erkältung schleicht sich langsam, die Sonne lacht, und so öffnet sich die Tür für einen herrlichen Tag.
Wir werden herzlich aber doch beherzt aus dem Haus gekegelt, auch durch die Ermunterungen der anderen Reisenden, die uns in ihren Vorbereitungen ein wenig voraus sind. Es ist kein Problem, direkt in der Innenstadt zu etwas Brot und ein paar Kleinigkeiten für den Weg zu kommen.
Der Weg schlängelt sich steil, eher sogar zu steil (denn es ist schnell klar, dass wir das auch alles wieder hoch müssen!) durch die einstmals recht große, mächtige, jetzt eher verschlafene Pilgerstadt hinunter zur – selbstredend – UNESCO-Weltkulturerbe-Pilgerbrücke. Kaum zu glauben, dass die Heilige der Stadt, Fides, weltweit so eine Strahlkraft entwicklen konnte (Spanisch etwa heißt sie “Santa Fe”).
Nach dem Überqueren der Brücke erwartet uns ein großes Stück Arbeit. Innerhalb von nur 1,4 Kilometern steigt der Weg durch einen nicht ganz einfach zu gehenden Pfad durch den Wald um 300 Höhenmeter an.
Bei etwa zwei Drittel der Steigung steht eine kleine Kapelle, die uns neben einem Rückblick auf Conques noch einen besonderen Moment bereitet. Drei französische Rentnerinnen, die die Kapelle etwas vor uns erreichen, sind schon wieder zu Atem gekommen und nutzen die Akustik der Kapelle, um aus voller Kehle den Ohrwurm des Weges zu schmettern.
Kurz drauf öffnet sich der Wald, die Sonne führt uns durch Weiden weiter sanft bergauf, auf den nächsten drei Kilometern weitere hundert Höhenmeter – nach dem ersten Anstieg kaum der Rede wert. So geht der Weg auch weiter. Herrliches Wetter, über die Hochebene mit relativ konstanter Aussicht.
Bei meiner Begleitung ist allerdings Schmerz heute das dominierende Thema. Die für dieses Mal gewählten Wanderstiefel passen einerseits nicht richtig, andererseits stimmt etwas mit Aufstand und Führung der Ferse nicht. So verpasst sie im Trott einen echten Höhepunkt des Weges. Etwa bei Kilometer 8 empfängt mich eine Eidechse auf der Türschwelle der Chapelle de Saint Roch bei Noilhac. Sie macht mir Platz und lässt mich staunend mit den leuchtenden Fenstern im etwas muffigen aber doch leicht kühlen Innenraum zurück.
Es geht in etwa auf der Höhe weiter durch Weiden und Felder, der Weg lullt uns ein, sanfter Wind, eher von hinten tut ein Übriges. Die Navigation ist einfach, bald geht es stetig leicht bergab, läuft von ganz alleine.
Die Landschaft wird gefühlt deutlich weiter als die letzten Tage.
In Decazeville, etwa bei Kilometer 19, erreichen wir wieder die Ausgangshöhe.
Decazeville scheint eine größere Stadt zu sein, und wir erreichen sie zur Ladenöffnungszeit. Also suchen wir die Post und nehmen uns etwas Zeit, das Gepäck meiner Begleitung merklich zu erleichtern. Die schlecht eingelaufenen Wanderstiefel gehen beim Besten Willen nicht, und auch ansonsten findet sich noch reichlich Ballast.
Solchermaßen erleichtert halten wir kurz Kriegsrat und beschließen, dass es zum Aufhören noch zu früh ist. Also weiter.
Das war eine harte Entscheidung, denn aus der Stadt raus geht es knackig aufwärts, der Anstieg liegt voll in der Sonne und zieht uns den Saft aus den Knochen. Aber sechs Kilometer, das ist noch locker zu schaffen! Sicherheitshalber machen wir die Herberge für den Abend klar, bevor wir die Stadt verlassen.
Aber irgendwie kommt kein regelmäßiger Rhythmus mehr zu Stande, und als der Weg schließlich aus der Sonne auf die Schattenseite abbiegt und sich schotterig und schon recht schattig Richtung Lot stürzt, ist wirklich mal wieder die Luft raus.
Wir erreichen Livinhac le Haut auf der anderen Flußseite und finden einen sehr sympathischen Ort, der eine kleine Kunstszene zu haben scheint.
Die Unterkunft ist direkt an der Kirche gleich gefunden und wir werden sehr freundlich empfangen. Das möglichst ökologisch geführte Haus hat klare Regeln um erstens Bettwanzen und zweitens Dreck zu vermeiden: Schuhe und Rucksack bleiben in einem Abstellraum. Jeder kriegt eine alte Weinkiste, in denen er die wichtigen Sachen mitnimmt. Bitte keine Schlafsäcke, Ihr kriegt von mir frische Bettwäsche!
Das Haus ist alt, die Einrichtung recycelt, aber liebevoll gemacht.
Zum Abendessen gibt’s vegetarisch Selbstgekochtes (Pasta al Forno) in großen Portionen mit reichlich Wein und Dessert. Der Wirt ist in Plauderlaune, wir sind heute seine einzigen Gäste. Und so kriegen wir nebenbei noch eine wirklich beeindruckende Portion ökologisch und leicht antikapitalistischer Weltanschauung verabreicht. Das ist aber durchaus interessant und anregend, denn er kann’s vernünftig erklären.
Dennoch wird es wieder recht schnell Nacht…
Fazit des Tages:
Nach einem eher massenhaften Start in Conques hat sich die Pilgerschar den Tag über überraschend stark verteilt, und am Ende landen wir sogar alleine in einer netten Gite. Manchmal lohnt es sich direkt, nicht die erstbeste und billigste Unterkunft zu wählen und eventuell auch ein, zwei Schritte weiter zu gehen.
Aber die Wanderschuhe heimzuschicken lässt sich kaum als gutes Omen für meine Begleiterin umdeuten.
Tolle Kirchenfenster!
Der Wahnsinn! Ich ahnte aus dem Reiseführer, dass sie möglicherweise dort sein könnten, also habe ich die Augen aufgehalten.
So ist’s unterwegs…
Manchmal hast Du Glück und siehst etwas Besonderes, zur rechten Zeit am rechten Ort.
Und weißt dabei genau, dass Du mindestens genauso viel verpasst…