15.Tag: Taillancourt/Montbras – Rouvres-la-Chétive

Freitag, 3. April 2015
Strecke: 38,9km – Etappe: 238,1km – Gesamt: 491,5km
Gehzeit: 10:40 brutto / 8:15 netto

Das Schloß begrüßt uns am nächsten Morgen frühlingsfrisch im Sonnenschein, der Nebel der Nacht verflüchtigt sich schnell.
Wie wir beim Frühstück erfahren, gibt es im Schloß in der Tat einen Hausgeist namens Hector.
Der ist eigentlich ein ganz sympathischer Kerl und liebt es, mit den Gästen fern zu sehen. Hätten wir mal lieber die Flimmerkiste angemacht statt sofort zu pennen!
Das Frühstück ist nett und reichlich, und es macht echt Spaß, mal für eine Nacht den Schloßherren zu geben.
Am Ende des Frühstücks führt uns der weltliche Besitzer des Schlosses noch in dessen geistlichen Teil – eine echte Privatkapelle, die den linken Teil des Basis-Flügels einnimmt. Zudem erfahren wir auf Nachfrage ein wenig davon, wie es im echten Leben und mit der Steuer und Staatshilfe so ist, Schloßherr zu sein.

Nach einem ordentlichen Frühstück unterhalten wir uns beim Bezahlen noch über die geplante Etappe und die Wirtsleute erbieten sich, für uns am geplanten Etappenziel des Tages anzurufen.
Weil das heute mit fast 40km eine etwas großzügigere Portion ist, nehmen wir das Angebot gerne an. Denn auf das fast schon legendentaugliche Übernachtungsglück sollten wir vielleicht doch lieber nicht fest hoffen.
Danach schließt sich ein kurzer Rundgang um das in der Morgensonne liegende Schloß an.

Die Navigation auf den ersten Metern scheint recht einfach, und so entfernen wir uns durch die Felder Richtung Süden von Taillancourt.
Der breite Weg führt uns ohne Abzweigungen und gut ausgeschildert in Richtung des Waldes und hinein.
Zunächst geht es ein wenig bergauf, dann komfortabel in der Morgensonne leicht bergab.

Jakobsweg Valee du Cauroy Bachaue am Morgen

Blick zurück. Es ist zwar etwas trübe und feucht, aber es läuft!

Weil der Weg so gut ausgeschildert ist, habe ich die Navigation nicht angeschaltet.
Nach etwa 6km kommt mir die Richtung aber doch irgendwie komisch vor. Und wir bemerken, daß der GPS-Track vor etwa 1,5km ziemlich scharf abbog. Die weitere Richtung des auf der Karte gezeichneten Weges und des Tales, in dem er verläuft, passen nicht zu unserer Hauptrichtung für heute.
Also zurück…
Es zeigt sich, daß der handgemachte Track absolut akkurat war und wir einfach vor lauter Geschwätz und einfachem Laufen einen mal nicht ganz so auffällig ausgeschilderten Abzweig verpaßt haben.

Direkt nach dem Abzweig wird es kurz ein wenig rustikal – aber absolut akkurat ausgeschildert. Es geht durch den Wald bergauf, der Weg bleibt etwas derb.
Wir erreichen die Hügelkuppe und somit den Rand des Waldes, wo uns ein junger Fuchs neugierig aus der Nähe seines sicheren Baus beäugt.
Kurz drauf öffnet sich der Blick in die nächste Au.
Wir erreichen Goussaincourt bei etwa 9,5km und machen eine kurze Pause am Brunnen. Das Szenario der Deutsch/Französischen Animositäten weicht langsam der französischen Nationalgeschichte.
In dieser Region mag jeder gerne etwas mit Jeanne d’Arc zu tun gehabt haben.
Nach Goussaincourt geht es durch die Felder bergauf auf den Rücken des Hügels und direkt im Wald erreichen wir die Chapelle de Bermont.
Hierhin soll Jeanne d’Arc sonntags gegangen sein, um ihre Visionen zu empfangen während ihre Eltern auf den Feldern der Umgegend arbeiteten.
Die Einsamkeit, in der sie meditiert haben mag, können wir heute sehr gut nachvollziehen, denn wir treffen mal wieder genau niemanden.
Und stehen vor verschlossener Tür.

Der Ort hat auf mich keinerlei Wirkung, und so nimmt ein etwas eigenes Bild der historischen Figur, über das zu reden sich in Frankreich verbietet, in meinem Kopf Gestalt an.
Hügelabwärts erreichen wir Greux. Kurz vor dem Ortseingang dankt dieser Ort mit einigen erhaltenen Statuen – wenn ich das jetzt richtig verstehe – vor allem den nahen Verwandten von Jeanne d’Arc, dafür, daß sie das außergewöhnliche Kind nicht im Affekt erschlugen…

Einen guten Kilometer nahezu unbefahrener Landstraße weiter erreichen wir Domrémy-la-Pucelle, Geburtsort und Heimathaus der französischen Nationalheldin – na, wie hieß sie noch gleich…
Auch hier treffen wir wieder niemanden. Außer im einzigen geöffneten gastronimischen Etablissement des Ortes. Das ist gerade tatsächlich eine Busladung Touristen beim Essen. Darüber sind nicht nur wir verwundert, sondern auch der Betreiber der Kneipe derart überfordert, daß er uns nicht mal einen Sandwich anbieten kann.
Gegenüber steht die Taufkirche Jeanne d’Arcs. Und die ist einfach so offen, ohne Eintritt zu besichtigen und menschenleer.

Während ich mich ein wenig umsehe, für meine Tochter in der Taufkirche ihrer Namenspatronin ein Lichtlein anzünde und in Ruhe zusehe, wie das Wachs schmilzt, setzt sich mein Begleiter in eine der hinteren Bänke und starrt ein Loch in die Luft. Und noch eines.
Ich glaube, jetzt sollte ich mal den Rand halten und mich noch ein wenig umschauen…
So, jetzt muß ich aber doch mal schauen, ob mein Kumpel sich noch rührt.
Ich stelle mich vor ihn, wir schauen uns in die Augen. Ich reiche ihm eine Hand, er nimmt sie und steht auf. Ich frage ihn: “Weißt Du jetzt, warum Du eine Woche durch dieses Sauwetter gestapft bist?” – “Ja, ich denke schon…”.
Na, dann können wir jetzt ja weiter…
Direkt hinter der Kirche ist das Geburtshaus Jeanne d’Arcs zu besichtigen. Wir verkneifen’s uns, wenngleich es so leer und verlassen den meisten Touristen verwehrt bleiben wird.

Jakobsweg Domremy La Pucelle Maas Panorama

Aber bis dahin fließt noch viel Wasser durch die Meuse…

Kurz drauf verlassen wir Domrémy-la-Pucelle etwas hungrig in Richtung der infrastrukturell sicher besser erschlossenen Basilika.
Nach etwa zwei Kilometern entlang einer sehr friedlichen Landstraße erreichen wir die Basilika bei etwa Kilometer 17 in eher fiesem Wetter bei vornehmem Nieselregen und kaltem Wind.
Das Gasthaus bietet an schönen Tagen mit hohem Touristenaufkommen sicherlich eine reichhaltige Auswahl und ist gut frequentiert.
Heute sind die Busparkplätze leider leer und das Haus schlicht abgeschlossen. Auch der Souvenir-Shop hat außer ein paar trockenen Keksen nichts zu bieten.
Also nähern wir uns der Basilika, die architektonisch interessant im 1. Stock eingerichtet ist, mit leicht knurrendem Magen.
Natürlich nicht, ohne ein weiteres huldvolles Bildnis der französischern Nationalheldin zu bewundern. Im Erdgeschoß wird in der Kirche einigen “normalen Heiligen” gehuldigt, darunter zum Beispiel Martin.
In der Kirche sind wir wieder komplett alleine.
Der erste Stock empfängt uns mit der Geschichte Jeanne d’Arcs an den Wänden trotz des schlechten Wetters und der Architektur überraschend hell.

Der Blick zurück ist interessant. Denn wo bei einer normalen Kirche das Eingangsportal wäre, ist hier ein schlichtes Geländer und dahinter eine weitere Apsis mit Altar.
Wir stapfen aus der Kirche hinaus und dann weiter an der Straße entlang.
Als wir etwa einen Kilometer der bergab führenden Geraden erreicht haben, sehe ich einen Range Rover um die Ecke biegen. Moment mal, das Auto kenne ich doch.
Und in der Tat, die Welt ist klein. Es ist der Schloßherr von Montbras mit seiner Gemahlin. Sie halten an, sind verwundert, wie schnell wir diese Ecke erreicht haben, fragen, ob sie etwas für uns tun könnten. Ich schiele auf die Einkäufe auf dem Rücksitz…
“Nein, danke, wir kommen gut zurecht. Es ist alles in Ordnung…Ja, das Etappenziel werden wir erreichen, klar!”
Wir verabschieden uns.
Kurz drauf überqueren wir die Maas, die hier Meuse heißt, zum letzten Mal und erreichen bei Kilometer 20 Coussey.
Da gibt’s eine Kneipe, die hat zwar den Charme eines Hütchen-Spiel-Standes in einer Bahnhofshalle, aber ist immerhin offen.
Untypisch für Glücksspiel-Orte gibt es hier aber keine unauffälligen, einhändig zu verzehrenden Häppchen, sondern Schnelles vom Grill.
Das Pfeffersteak ist zwar als Imbiß etwas schwer, kommt aber dennoch recht.
Aufgewärmt und gestärkt geht es weiter. Es liegt noch ein ganzes Stück Weges vor uns. Nicht nur, daß wir bei der Unterkunft angekündigt sind; es gibt bis dahin auch praktisch keine Alternativen.
Nach Coussey geht es durch die Felder den Hügel hoch zu einem riesigen Holzlager um ein weniger riesiges Sägewerk. Wir fragen uns schon ein Stück weit, wo das ganze Holz her kommt, vieles davon sieht recht frisch aus.

Inmitten dieser den frischen Spuren nach aktuell und rege genutzten Anlage treffen wir mal wieder niemanden und es herrscht gespenstische Ruhe. Nicht mal der Hütehund ist da, aber das ist mir ganz besonders recht so.
Am Ende des Holzvorrats biegen wir rechts ab, überqueren eine Bahnlinie und halten uns entlang einer doch etwas mehr befahrenen Straße Richtung Soulosse-sous-Saint-Élophe.
Den Ort passieren wir nur am Rande, und bei etwa 25km erreichen wir Fruze. Wir wissen genau, was uns hier erwartet, nämlich nichts und biegen im Ort rechts ab, um uns entlang der Frézelle zu halten.

Tatsächlich sehen wir in der Ferne gelegentlich Menschen, aber das sind stippfischende Angler, die stets sofort wieder im Bachlauf verschwinden.
Dem Bachlauf folgen wir nun etwa 5km und erreichen dort Rollainville.
Dort haben die Gemeindefinanzen offensichtlich nur für eine stabile Brücke und natürlich das regelmäßige Streichen der Mairie gereicht.
Wir machen eine Pause, denn danach folgt ein nach Track und Reiseführer nicht so klarer Teil des Weges, den ich dann eher freihändig geplant habe. Also nochmal kurz durchschnaufen, wer weiß, welche Zäune und Hecken ich beim Planen übersehen habe.
Für die andere, schon deutlich ältere Brücke am anderen Ortsende wird Schonung empfohlen.

Wir bleiben auf dieser Seite des Bachs und verlassen den Ort entlang der nach wie vor klaren Beschilderung.
Der Weg ist weiter gelegentlich ausgeschildert und paßt überraschend gut zum eher improvisatorisch erstellten GPS-Track.
Nun gut, hier gibt es wenige Wege, wenige Anzweige, da kann eigentlich kaum etwas schief gehen.

Jakobsweg L'Etanche totale

L’Ètanche. Hier im Sommer ein kühles Hefeweizen…

So erreichen wir bei etwa 32,5 Kilometern L’Étanche, eine Kombination aus ehemaliger Abtei und ehemaliger Schule.
Beides ist recht großzügig eingemauert und eingezäunt. Wer auch immer da gerade nicht da ist, er mag dabei auch eher lieber nicht gestört werden.
Wie auf dem Bild zu erahnen – es ist noch eine ganze Weile bis zum offiziellen Sonnenuntergang – liegen die Wolken gerade etwas tiefer.
Das ist gut, denn dann fällt der Regen nicht so weit und hart, sondern nieselt sanft auf uns herab.
Wir queren die D166, halten uns auf der anderen Seite im Wald und nach einer Dreiviertelstunde kommt Rouvres-la-Chétive in Sicht.
Natürlich ist die einzige, uns sehnlichst mit warmen, flauschigen Frottée-Tüchern und Glühwein erwartende Unterkunft praktisch am anderen Ortsende.
Wir erreichen sie und werden zwar nicht ganz wie beschrieben, aber dennoch rustikal-freundlich empfangen.
Direkt bei der Ankunft wird das mit dem Essen geklärt.
Das dauert dann zwar nach dem Duschen noch eine Weile und fühlt sich im großen Gästeraum alleine etwas seltsam an. Ist aber absolut in Ordnung.

Selbstredend wird es nach dem Essen mal wieder ziemlich schnell dunkel.

Fazit des 8. Tages:
Absolute Knaller-Etappe durch die Heimatregion der französischen Nationalheldin. Landschaftlich und kulturell äußerst kurzweilig.
Sehr schöne, gut beschilderte Wegesführung.
Jetzt, wo ich’s gerade geschrieben habe, merke ich, daß ich auf dieser Etappe einen sehr großen Teil der bleibenden Eindrücke gesammelt habe.
Ein Teil der Erinnerung ist natürlich auch die eher mäßige Infrastruktur.
Müßte man aus der ganzen Tour eine Essenz bilden, es wäre dieser Tag!
Mit 38 Kilometern geht das nicht nur über meines Mitwanderers Vitalkapazität, sondern auch schon so langsam aber sicher an die Grenzen meiner eigenen.
Die Kälte und der Regen taten natürlich ein Übriges.
Trotzdem absolut herrlich!

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