7.Tag: Trier – Merzkirchen

Donnerstag, 23. Oktober 2014
Strecke: 31,8km – Gesamt: 253,4km
Gehzeit: 8:30 brutto / 6:30 netto

Diesen Morgen lasse ich mir mit dem Aufstehen etwas mehr Zeit.
Denn ich will heute nur bis Merzkirchen, etwa 30km. Gestern erfuhr ich von einem Freund, daß es dort eine ganz nette Herberge geben soll. Herberge hatte ich noch nicht. Womöglich gibt es dort noch weitere Reisende? Kaum auszudenken! Außerdem möchte ich heute Morgen noch einen kurzen Blick auf die Stadt werfen.
Das Schmuddelwetter hat sich zumindest soweit verzogen, daß es nicht mehr regnet.
Um Neun bin ich soweit.
Die Orientierung Richtung Dom ist einfach. Schon nach wenigen Minuten habe ich ihn erreicht. Der erste Blick ist eher schlicht. Aber kaum kommt man näher, schon wird das Bauwerk eindrucksvoller. Leider darf ich aber noch nicht rein – Gottesdienst – und das Dombüro hat auch noch zu.
Ich überlege einen Moment, ob ich der Uhr beim Weiterrücken zuschauen soll, aber mein Küchenlatein treibt mich weiter.

Ich drehe eine Runde um den Dombau-Komplex und bemerke, daß der flächenmäßig sehr großzügig ist.
Den Bau halb umrundet habend, sehe ich den nächsten Sakralbau. Besichtige ihn aber nicht. Nicht verzetteln!
Gegenüber des Dombüros bemerke ich, wie außerordentlich gut der Dom auch in Details restauriert ist.
Endlich dreht sich der Schlüssel im Schloß hinter mir und im Dombüro erhalte ich nach freundlichem „Woher? Wohin?“ meinen nächsten Stempel.

Kurz drauf darf ich auch in den Dom.
Mich empfängt eine historisch offensichtlich gewachsene Kirche, die es irgendwie durch die meisten Kriege geschafft zu haben scheint.

Sicher lauern hier Geschichten und Geschichten, bestimmt interessant, sich weiter zu vertiefen.

Ich verlasse die Kirche dennoch, denn ich will noch eine weitere besuchen bevor ich die Stadt verlasse.
Es gibt nicht viel zu orientieren, sondern geht Hunsrück-erprobt einfach weiter geradeaus bis zur Benediktinerabtei Sankt Matthias, die ich bei ungefähr 4,5km erreiche. Irgendwie läuft’s heute nicht; das Ziehen im Schienbein ist wieder da, die Füße, ach, lassen wir das…
Jedenfalls erreiche ich die Abtei. Die Kirche hat auf und ist praktisch leer. Auch diese Kirche hat es ganz gut durch die Zeit geschafft. Zentraler Punkt der Kirche ist das einzige Apostelgrab nördlich der Alpen.
Das wurde überirdisch vor einiger Zeit neu gestaltet.

Neben dem Apostel kann ich ungehindert in die Krypta hinabsteigen. Ein heimelig beleuchteter Raum. Praktisch sofort stehe ich vor einem Pult, auf dem eine aufgeschlagene Bibel liegt. Daneben ein Silbertablett mit Wein, Wasser, Hostien. Kein Mensch weit und breit.

Ich drehe mich um und bin direkt am Apostelgrab – ich hätte nie gedacht, daß man einen solchen Ort einfach so und ganz ohne Sicherheitsgedöns erreichen kann.

Jakobsweg Trier Sankt Matthias Reliquienschrein

Der Schrein mit den Überresten des Apostels. Einfach so, zum Anfassen.

Ich nehme mit einen Moment Zeit und denke über die Person nach.
Dann verlasse ich die Krypta, nehme mir eine Kerze, zünde sie an und setze mich dahinter auf eine Bank.
Ich beobachte, wie das Licht aufbrennt und das Wachs sich langsam verflüssigt.
Hier und jetzt habe ich wirklich etwas verstanden. Und bin ganz ruhig.

Das wäre jetzt so ziemlich der schönste Schluß gewesen, der mir für einen Pilgerbericht einfällt – es fehlen noch die Worte „Als die Kerze erlischt stehe ich auf und gehe nach Hause.“.
So ist es aber nicht.
Ich stehe schon vorher auf – und gehe weiter…

Die Mosel geizt an diesem trüben Tag mit ihren Reizen. Die Schnellstraße daneben nicht.
Nach einer ganzen Weile nervt micht das Geziepe am Schienbein und ich wechsele meine Socken gegen die Kompressionssocken, die ich mir eigentlich für die genußvolle Rückfahrt aufheben wollte.
Es geschieht das Unglaubliche, ja fast schon Undenkbare: Zwei Wandererinnen (oder ist der korrekte Plural „Wanderinnen“? Oder „Wanderinen“?) kommen kurz und freundlich grüßend vorbei.
Bis ich meine Füße in die Socken gerollt habe (es fühlt sich tatsächlich so herum an und nicht umgekehrt) sind sie jedoch in weiter Ferne verschwunden.
Jetzt geht es etwas besser, und recht zügig erreiche ich Konz.
Dort überquere ich die Saar, deren Mündung herzhaft unspektakulär ist. (Na gut, wie könnte eine spektakuläre Flußmündung wohl aussehen?)
Nach Konz verlasse ich die Nähe der Schnellstraße und es geht entlang einer Zubringerstraße für einen Steinbruch oder ein Betonwerk ziemlich geradeaus bis Tawern. Ich finde tatsächlich wieder einen Rhythmus. Zu sehen gibt es auf dem Stück nichts. Es vergeht einfach.

Nach Tawern steigt der Weg kurz und herzlos an, und das geht mir schon ziemlich in die Knochen – beziehungsweise zieht im Schienbein.
Kurz vor Erreichen der Schneegrenze wartet jedoch eine Überraschung im Wald.

Die Tempelanlage ist im Sommer sicher ein schöner Platz zum Rasten.

Jakobsweg Tawern Panorama im Dunst

Im Vordergrund: Tawern. Im Hintergrund: Der schöne Blick auf Trier.

In der grauen Herbststimmung mit Wind und „Soll ich regnen?“ am Himmel geht’s so.
Auf einem Schild wird erklärt, daß dieser Platz seinerzeit wegen seines schönen Blicks auf Trier gewählt worden wäre.

Ich ziehe weiter durch den Wald, schon bald brauche ich eine Pause.
Als ich so etwa bei 20km wieder aus dem Wald raus komme, ist der Ofen aus.
Ich greife in die Reiseapotheke und schmeiße Schmerzmittel ein. Das heißt, die Reise ist vorbei.

Jakobsweg Saar Aussicht

Der Baum hat’s mir gesagt…

(Eiserne Regel: Wenn das genommen wird, geht’s sofort Richtung Heimat!)

Weil’s zwar ätzend aber nicht unbeding gefährlich scheint, beuge ich die eiserne Regel etwas und beschließe, die Tagesetappe noch bis Merzkirchen abzuschließen um mich morgen von dort aus auf den Heimweg zu machen.
Der Weg dorthin wird nochmal richtig nett (klar, die Füße tun ja jetzt auch weniger weh).
Landein landaus geht es weiter, durch ein paar kleine Ortschaften mit so klangvollen Namen wie Kümmern und Fisch. Gut ausgeschildert.
Der Weg ist jetzt weich und angenehm zu gehen. Ein Schild bringt’s auf den Punkt.

Dennoch muß ich bis zum Etappenziel noch ein wenig kämpfen. Es kommt wieder etwas Wind auf, natürlich von vorne und mir wird kälter.
In Kerrig mache ich noch einen kleinen Navigationsfehler und muß das letzte Stück bis Merzkirchen an der Landstraße entlang laufen.

Jakobsweg Merzkirchen Schild Herberge

Die Herberge wäre auch ohne das Schild zu finden. Merzkirchen ist überschaubar.

Als ich an der Herberge ankomme, reicht’s mal wieder…

Das Haus ist das auffälligste im Ort.

Im Haus werde ich etwas chaotisch empfangen. Mary, die Herbergsmutter hat mehr als einen Job. Und gerade steht der erste November vor der Tür und sie muß wie wild Kränze und Gestecke basteln.

Immerhin hat sie auf.

Jakobsweg Merzkirchen Herberge

Meine erste Herberge.

Und: Ich bin nicht der einzige! Kaum zu glauben! Es gibt noch weitere Pilger!
Die Herberge ist sehr ordentlich und ruhig; ich nehme das erstbeste Bett und bin damit alleine im Zimmer.
Mary ist an dem Abend nicht in der Laune für ganz große Küche, aber sie kriegt uns mit Pasta und Eis ordentlich satt.
Die hauseigenen Brennerzeugnisse (ja, das macht sie auch, prämiert!) kommen heute nicht auf den Tisch; vielmehr verhandelt sie mit den anderen beiden Gästen ein recht spätes Frühstück. Ist mir recht, denn ich will morgen ja nur heim…

Die anderen Beiden sind auch ziemlich platt, und so wird es wieder mal zügig Nacht um mich herum.

Fazit des siebten Tages:
Schluß ist, wenn’s vorbei ist!
Ob da jetzt der Körper dem Geist folgt oder umgekehrt, ist schwer zu sagen.
Es war rückblickend betrachtet falsch, Trier zu verlassen. Ein Sighseeing-Tag dort wäre mir sicher besser bekommen.
Jetzt – einen Monat später – weiß ich, daß mich das zwar rein streckenmäßig auch nicht weiter gebracht hätte.
Aber an diesem Tag überschritt ich die Grenze zwischen Zielstrebigkeit und Ehrgeiz und quälte mich überwiegend weiter.
Im Grunde nicht gefährlich, aber halt auch irgendwie nicht sonderlich weise…
Der herausragende Moment des Tages und insgesamt eine außerordentliche Erfahrung war der Moment der Ruhe und Klarheit am Grab des Apostels. Allein der hat reichlich für die Strapazen der ganzen Reise entschädigt.

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