13.Tag: Dielouard – Toul

Nittwoch, 1. April 2015
Strecke: 29,4km – Etappe: 166,3km – Gesamt: 419,7km
Gehzeit: 8:30 brutto / 6:15 netto

Heute haben wir uns den Wecker etwas früher gestellt um auf jeden Fall noch alle Mitglieder des Gasthaushalts in den Tag verabschieden zu können.
Aber wir brauchen den Wecker kaum. Ein auf das Dachfenster prasselnder Graupelschauer beendet den ohnehin schon recht seichten Schlaf abrupt.
Wir rappeln uns vorsichtig und kichernd auf, damit das Bett mich nicht wieder ungefragt ablädt.In der Küche erwartet uns Paul mit zwei henkellosen Müslitassen voller Café au lait. Dazu gibt’s dunkles Brot und Marmelade.
Auf dem Tisch, ohne Teller.
Fatima und Fari huschen kurz durch, bevor sie sich Richtung Schule und Werktätigkeit von dannen machen.
Wir klären noch kurz das nächtliche Gepolter, das im Haus offenbar gut zu vernehmen war – Ich wiege immerhin gut hundert Kilo und bin halt beim Umdrehen von der Bettkante gefallen.
Morgens ist Paul noch ein wenig knorriger.
Wir frühstücken und füllen mit dem Rest Brot unsere Hello-Kitty-Boxen.
Dann mache ich ein Angebot für die Übernachtung und Paul willigt grummelnd ein.
Relativ schnell haben wir unsere Sachen gepackt.
Während wir in der Garage unsere Regenkleidung überziehen, poltert ein weiterer Graupelschauer durchs Dorf.
Ja, Paul, wir wollen wirklich weiter. Kein Tag fällt aus.
Es wird zwar vielleicht etwas widerlich, aber es ist kein Starkwetter angesagt.
Lothringen empängt uns heute morgen also ausgesprochen herzlich.
Wir stapfen durch die Reste des Graupels los und finden recht schnell zum Weg zurück – klar, die Hauptstraße von Dielouard haben wir gestern ja schon in voller Länge erkundet.
Rasch verläßt der Weg den Ort und schwingt sich zügig bergauf, wir verlassen also das Moseltal um eine Schleife abzukürzen.
Auch das angeblich schöne Panorama in Liverdun streichen wir kurzerhand mangels Aussicht auf Aussicht aus dem Programm und planen dann stattdessen die im Führer angegebene Alternativroute.
Der Weg ist gut zu finden, der GPS-Track akkurat, es läuft bestens.
Kurz vor dem ersten Navigationspunkt in Saizerais kommt es überraschend zu kontrastreichen Szenen auf offenem Feld.

In Saizerais bietet die weithin gut sichtbare Kirche etwas Windschatten, und wir machen eine erste Rast.
Die Navigation im kleinen Ort ist einfach, nur nicht Richtung Liverdun abbiegen, und schon bald finden wir uns auf einem der für die Gegend typischen breiten Wege wieder.
Der geht ohne viel Aufhebens Richtung Wald, den wir bei etwa 8,5km erreichen.
Der Wald wird aktiv bewirtschaftet und entsprechend wird der Weg nach und nach etwas rustikaler.
Es geht bergab, bergauf und dann vor allem 2,5km genau geradeaus.

Jakobsweg Saizerais Jaillon Waldweg

Jetzt noch etwas farblos, im Sommer sicher herrlich…

Im Sommer ist dieses Waldstück sicherlich herrlich erfrischend, heute schützt es uns vor Wind und nachlassendem Wetter.
Bei etwa 14km verlassen wir den Wald und bemerken, daß sich das Wetter enorm gebessert hat. Mutig legen wir die Regenhosen ab und nähern uns dem nächsten Orientierungspunkt, dem Pavillion Bleu.

Ein Bach mäandert malerisch Richtung Mosel und weist uns so den Weg.

Wir erreichen Le Pavillion Bleu, das farblich enttäuscht.
Dafür hat das Restaurant offen, und das kommt nach der eher kargen Befüllung der Brotdosen und dem etwas kalorienbewußteren Frühstück mit Paul echt gerade Recht.
Wir werden freundlich aufgenommen, das Restaurant ist recht gut frequentiert und mit einem vorgebauten Zelt auf Heerscharen hungriger Reisender eingestellt.
Wir ordern und bekommen ein Sandwich sowie beste Unterhaltung.

Ins Zelt poltert ein schnatternder Rucksack und hinterher ein bleicher Jüngling mit Pudelmütze, Parka, weißen Turnschuhen und Tragetasche.
Hinter dem Rucksack kommt eine kleine Frau zum Vorschein, die sich an den Tisch neben uns setzt und wohl an meinem Grinsen (Pokerface übe ich noch!) erkennt, daß ich ihr Schnattern verstehe.
Ich erkläre ihr mit meinem kulinarisch extrem fundierten Französisch die Speisekarte und, daß unser Sandwhich nicht drauf steht.
Ich gebe Ihre Bestellung auf.
Wir erfahren, daß die beiden auch auf dem Jakobsweg sind. Seit gestern. Wo genau sie gestartet sind, kriegen wr nicht raus. Heute Morgen sind sie jedenfalls mit dem Bus nach Liverdun gefahren und haben sich entlang der Mosel gefragt, ob sie richtig sind.
Mit Google Maps und dem Pilgerführer haben sie schließlich Le Pavillion Bleu gefunden und fragen nun, ob wir ihnen hinsichtlich Orientierung und Wegweisung Tipps geben könnten.
Auf die Frage, wie denn ihre Planung so wäre, erfahren wir, daß da eigentlich garnix geplant ist.
Tobi wohnt in einer betreuten Jugend-Wohneinrichtung (warum auch immer). Fiona ist eine der Betreuerinnen.
Tobi soll für einen Monat auf den Jakobsweg um seinen Kopf klar zu kriegen. Und Fiona soll ihn die ersten Tage begleiten, bis sie von ihrer Chefin abgelöst wird. Fiona hat erst zwei Tage vor Abreise von ihrem Glück erfahren.
Sie kann – sorry, jetzt kommt echtes Klischee – sich zwar sozialpädagogisch korrekt einbringen, aber keinen Ton Französisch und schlecht organisieren. Und keine Karten lesen. Auch nicht entlang der begradigten Mosel.
Wir erklären beiden den Weg nach Toul (aus der Tür raus, an den Fluß, und dann bis zur nächsten Stadt am Fluß entlang!).
Fiona ist in ihrem Aktionismus nicht zu bremsen und schleppt Tobi, der nun eher so wirkt als wäre er nicht zu beschleunigen, aus dem Restaurant.
Vor der Tür biegen die beiden beherzt in die Richtung ab, aus der wir gekommen sind.
Wir nehmen noch einen kleinen Kaffee, zahlen und machen uns auch auf.
Das Wetter hat sich extrem gebessert, die Sonne kommt etwas raus und wir erreichen den Fluß.

Jakobsweg Le Pavillon Bleu Schwan

Schnattert nicht, wenn er komische Vögel vorbeiziehen sieht: Schwan auf einem Nebenbecken der kanalisierten Mosel.

Kurz bevor wir um die Ecke biegen, sehe ich die beiden Gestalten wieder aus dem Weg kommen und zu unserer Verfolgung ansetzen.
Schon bald wird das Schnattern hinter uns wieder deutlicher und die beiden überholen uns mit einem kurzen Plausch und der Andeutung, daß sie sich wohl bis Toul besser in unserer Nähe halten würden um nicht verloren zu gehen.
Tobi hat offensichtlich überhaupt keine Lust auf die ganze Nummer. Abgesehen von der extrem unpraktischen Ausrüstung – über die weißen Turnschuhe müssen wir während der nächsten Tag noch öfters herzhaft lachen – hat er überhaupt keine Ahnung, was der ganze Tinnef hier soll.
Ich versuch’s ihm kurz begreiflich zu machen, von wegen Loslassen, Gedanken kommen und gehen lassen, Eindrücke sammeln, Leere erfahren.
Das ist aber ganz deutlich eine Ebene, mit der er als 17 oder 18 Jähriger absolut nix anfangen kann.
Fiona brabbelt weiter, wie schön das doch alles wäre. Na, ob ich’s so Klasse fände…
In den wenigen Minuten höre ich mehr Worte als ich seit dem frühen Morgen mit meinem Begleiter gewechselt habe!
Dennoch sind die beiden schneller, und wir lassen sie ziehen.
Im Schatten der nächsten Brücke haben wir sie wieder, denn Tobi muß sich erst mal eine Kippe reinpfeifen und ist außerdem schon müde und schlapp.
Wir laufen weiter. Dann kehrt wieder Ruhe ein.
Fiona und Tobi haben wir in Toul am Abend nicht mehr gesehen…

Jakobsweg Toul kanalisierte Mosel

Jetzt ist wieder alles ruhig im Fluß. Begradigte Mosel Richtung Toul.

Nach dem Pavillion Bleu hat die Strecke weder landschaftlich noch navigatorsich nicht wirklich viel zu bieten.
Es geht einfach für 10km am Flußufer lang, bei etwa 23 km steht die einzige Bank genau da, wo wir sie gebrauchen könnten.
Wir halten nochmal Rast und streben bei heiterem Wetter mit eher kühlem Wind Toul entgegen.
Die Vorstadt erreichen wir nach etwa 26km, das lädt alles aber wirklich nicht zum Verweilen ein. Zumal der Wind wieder etwas stärker wird und sich der Himmel wieder etwas mehr eintrübt.

Jakobsweg Toul Stadttor

Eines der Tore von Toul

Das ändert sich, nachdem wir den eintmals gut befestigten Altstadt-Kern erreichen.

Auf der anderen Seite des Tores erwartet uns eine recht kurzweilige Altstadt. Nicht übermäßig bevölkert, und wenn, dann eher mäßig vertrauenswürdig. Die Häuser teilweise etwas morbide, teilweise ganz nett hergerichtet. Diei Straßen irgendwie halb gepflegt und geregelt.

Die Mairie sieht natürlich aus wie geleckt.

Jakobsweg Toul Mairie

Hotel de Ville: Stets das erste Haus am Platz!

Direkt nebenan erwartet uns wieder eine dieser schier unglaublichen Kathedralen. Herinnern scheint der Stein wieder schwerelos, wenngleich nicht so unbegrenzt wie in Metz. Die fragilen Fenster haben es hervorragend durch die Zeit geschafft oder wurden sehr liebevoll restauriert. Der Hochaltar wirkt da fast ein wenig dunkel. aber nun gut, die Jungs sollen ja auch Andacht halten statt sich zu sonnen! Der Blick vom Altar zurück läßt allerdings schon ein wenig Neid auf des Pfarrers Arbeitsplatz aufkommen. Mit recht wenig skulpturellem Protz wird der Blick immer wieder auf interessante Spiele von Licht und Schatten gelenkt. In der Kirche wird gerade emsig restauriert; offensichtlich ist gerade eine Baubesprechung im Gange. Ich kann einen Blick auf den Besprechungstisch erhaschen.

Aus der Kirche wieder raus, bekommen wir an der Touristeninformation zwischen Kirche und Mairie unseren nächsten Pilgerstempel und machen uns auf den weiteren Weg zu einem der zentralen Plätze. In dessen Nähe soll es mehrere Hotels geben, eines davon sicher auch für uns.

Jakobsweg Toul zentraler Platz

Zentraler Platz in Toul

Um die Hotelsuche effizienter zu gestalten schickt uns Petrus noch ein wenig freundlichen Niesel. Das ist gut, denn es macht weniger wählerisch.
Kurz darauf haben wir ganz in der Nähe eine ganz gemütliche Bleibe mit ZWEI BETTEN gefunden.
Das wohlige Seufzen beim ersten Niederlegen ist sicher im ganzen Haus zu hören.

Wir sind nicht ganz so spät dran und halten daher noch ein kurzes Nickerchen, bevor wir uns auf die Suche nach dem Restaurant für’s Abendessen machen. Beim Durchlaufen sah das nach ziemlicher Vielfalt aus; beim zweiten Hinschauen bleibt immerhin die Wahl zwischen Döner und Pizzeria.
Es wird die Pizzeria und wir gut sat.

Der Abend wird nicht allzu lang, denn wir haben etwas Schlaf nachzuholen…

Fazit des sechsten Tages:
Nette Etappe mit einigen Längen und aber auch guter Unterhaltung. Die erste Hälfte sehr schön, die zweite eher was zum Durchbeißen.
Aber insgesamt sind wir gut gelaunt wieder ein stück voran und allem Anschein nach wieder in der Zivilisation angekommen!

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