Mittwoch, 19. Oktober 2016
Strecke: 26,4km – Etappe: 210,4km – Gesamt: 1.066,6km
Gehzeit: 8:00 brutto / 5:15 netto
Heute lassen wir es ziemlich gemütlich angehen, denn wir lassen uns von Marie-Claude noch Teile ihrer Lebensgeschichte erzählen, hoffend, dass sich der leichte Niesel da draussen bald verzieht.Tut er nicht, und so stehen wir direkt in Regenkleidung vor der Tür.
Marie-Caludes Haus lag in der direkten Nachbarschaft des Schlosses, so dass wir den Tag mit einer ländlichen Allee und ein paar netten, morgentrüben Aussichten starten. Die ersten vier Kilometer geht es einfach geradeaus, leicht wellig.
Dann biegt der Weg jäh links ab und erreicht durch Felder das sich so lang wie seinen Namen streckende Örtchen Sainte-Agathe-la-Bouteresse.
Hier gibt’s nix zu sehen, bis auf einen kurzen, dunstigen Ausblick auf das nächste Zwischenziel der heutigen Etappe, Montverdun.
Kurz nach dem Ortsausgang von Sainte-Agathe macht der Weg einen auf der Karte völlig zwecklos erscheinenden Bogen um ein Waldstück. Ob der Eigentümer nicht gestört werden möchte, es sumpfig ist oder es einfach keine Brücke über den irgendwo darin fließenden Bach gibt, erfahren wir nicht. Die Wegweisung ist eindeutig.
Kurze Zeit später passieren wir das “Château de la Bastie d’Urfé”. Das sieht weniger nach einem echten Schloß aus, sondern nach dem für das lokale Seelenheil und das Eintreiben des Zehnten Zweig der reichen Abtei Pommiers. Fotos gibt es keine, denn das Licht gibt nicht viel her und das Etablissement sich äußerst geschlossen.
Ein sumpfiges Waldstück und ein paar Bögen später erreichen wir bei etwa 10 km Montverdun und erklimmen den Hügel, ihn dabei gefühlte zwei Mal umrundend. Obwohl wir heute Morgen spät losgekommen sind, sind wir hier zu früh als daß das Tor schon für die täglich anstehenden Besuchermassen geöffnet wäre. Wir warten ein paar Minuten, aus Neugier.
- Montverdun. Na, das Grün ist schon etwas mitgenommen.
- Gegen die Zeit: Kirche in Montverdun.
- Für das Weltliche: Wohn- und Küchentrakt.
Und das lohnt sich. Es zeigt sich von der Revolution oder anderen Wirrungen der Zeit etwas angeschlagene, in Summe aber noch ganz authentische Bausubstanz eines eher landadeligen Wohnsitzes mit robusten Verteidigunsanlagen für kleinere Auseinandersetzungen in der Nachbarschaft und ansonsten aber eher lichter Anlage. Die Kirche ist schlicht und auf ihre Weise einnehmend. In ihrem leicht morbiden Charme trutzt sie robust der Witterung und erzählt drinnen die Geschichte ihres Patrons. Der ist als Reliquie gleich neben dem Altar zu besichtigen. Mich fasziniert sowas immer. Keine Ahnung, was wirklich dran ist an der Geschichte. Aber da hat ein Mensch durch sein Tun einen wirklich nachhaltigen Fußabdruck hinterlassen. Und trotzt so in gewisser Weise der Vergänglichkeit.
Nach einer weiteren Runde um die Mauer und einen Blick auf die aktuell wegen Überfüllung geschlossene Herberge (könnte mir vorstellen, dass es da jetzt schon ziemlich empfindlich kalt ist!) verlassen wir den Hügel und wenden uns dem nächsten zu. 200 Höhenmeter, recht steil. Die Aussicht gibt n diesem wolkig-trüben Tag nicht allzu viel her. Immerhin lassen Luftfeuchtigkeit und Niesel soweit nach, dass ich die Regenhose ausziehen kann. Ich mag das Geraschel an den Beinen einfach nicht besonders!
Landein, landaus schlängelt sich der Weg weiter durch entvölkerte Weiden bis nach Champdieu, das wir etwa bei Kilometer 20 erreichen. Eigentlich wäre es hier jetzt gut, irgendwie ist heute die Luft raus aber die Infrastruktur von Champdieu sieht das anders.
Die gelisteten Unterkünfte sind nicht zu erreichen, und in der Mairie weiß man auch nicht wirklich weiter. Man könne uns die Herberge aufschließen, aber die wäre nicht geheitzt und hätte auch kein Bettzeug. Nein, ansonsten sähe es hier heute schlecht aus.
In Montbrison hätten wir wahrscheinlich mehr Glück.
Na toll. Sind ja nur fünf Kilometer! Einfach an der Straße entlang, mehr oder weniger geradeaus.
Punktgenau erreichen wir den recht verwinkelten Stadtkern von Montbrison und finden die Creperie, in der uns die Mairie von Champdieu eingebucht hat.
Das ist eine überraschende Erfahrung: Der Herr des Hauses bringt uns zwei Gassen weiter in das Privathaus der Familie und weist uns das Gästezimmer zu. Routiniert (Lasst bitte die Schuhe hier draussen auf dem Regal!), etwas knurrig, aber im Grunde doch freundlich. Dann lässt er uns mit dem Schlüssel alleine, er müsse sich ja noch um die Creperie kümmern, er dürfe doch zum Abendessen dort mit uns rechnen. Darf er natürlich.
Crepes gibt es auch würzig, und so finden wir schon bald gut gesättigt den Weg zurück zum Haus – nicht ohne die Ermahnung, man hätte morgen früh einiges zu erledigen, wir sollten doch bitte gegen halb Acht zum Frühstück erscheinen.
Überflüssig zu sagen, daß es wieder gewohnt schnell Nacht wird.
Fazit des Tages:
Das war’s dann wohl wieder mal! Der nächste Punkt mit flüssigem Anschluß an das öffentliche Verkehrsnetz ist zu weit weg als daß wir ihn morgen erreichen könnten. Die Etappe ging für eine letzte Etappe dann doch recht unverkrampft von Statten. Allerdings gibt es hier – auch, wenn wir uns langsam dem wesentlich populäreren Teil des Weges nähern – eine echte Nebensaison, in der die Herbergen geschlossen sind. Das ist für die Planung des nächsten Abschnitts vielleicht nochmal wichtig.
Nun gut, Morgen geht es ab nach Hause – mit Sightseeing in Lyon, das werde ich Euch natürlich nicht ersparen!
Das mit der eigenen Creperie ist schon gewieft. Wohl nur die wenigsten Pilger werden den Hinweis darauf ausschlagen. Aber lecker war es.
Das war auch eine fazinierende Begegnung, so direkt mit in der Wohnung. Ich traute meinen Ohren kaum als der Typ beim Frühstück begann, von den Fernreisen in über 70 verschiedene Länder zu schwärmen.
Solchen Wirtsleuten wünsche ich, dass sie von ihren Gästen nie enttäuscht werden!