12.Tag: Vandières – Dielouard

Dienstag, 31. März 2015
Strecke: 24,5km – Etappe: 136,9km – Gesamt: 390,3km
Gehzeit: 8:15 brutto / 5:30 netto

Der neue Tag begrüßt uns in Vandières mit einem Wetter, das spontan Lust auf mehr macht:
Mehr Kaffee, länger frühstücken.
Dennoch schaffen wir es irgendwie, um 9:30 im fiesen Regen vor der Tür zu stehen.
Schon bald steigt der Weg durch die Felder an und wir erreichen einen irrwitzigen Ort.Es hat zwischenzeitlich mal kurz mit dem Regnen aufgehört.
Direkt nach Norroy-lès-Pont-à-Mousson (der Name länger als der Ort), geht es in den “Priesterwald” (Hier der Bericht).

Jakobsweg Norroy Priesterwald sag mir wo die Blumen sind

Der östliche Rand des Priesterwaldes: Sag’ mir, wo die Blumen sind…

Ein völlig unwesentliches kleines Wäldchen auf dem Kamm des westlichen Moseltals.
Bei etwas mehr als 3km erreichen wir die sichtbaren Teile der seinerszeit unerbittlichen Schlacht um schlecht bewirtschafteten Wald. Auch der eine oder andere Baum, der das Massaker und die nachfolgenden Stürme überlebt hat, kann noch von der Schlacht berichten.
Denn der westliche Waldrand war wohl eher die friedliche Seite…

Bei etwa 5km verlassen wir den Wald und wenden uns bergab in Richtung Pont-a-Mousson.

Jakobsweg Pont a Mousson Panorama

Blick vom Waldrand Richtung Stadt.

Der Kriegsschauplatz hinterläßt in uns ein diffuses Gefühl, das sich kaum in Worte fassen lässt. Wir kennen den Krieg nur aus den vagen berichten unserer Großväter – und dann auch nicht diesen, sondern den nächsten. Und dennoch ist da ein ziemlich verzweifelt-mulmiges Gefühl.
Der Weg nach Pont-au-Mousson geht zügig bergab; Maidières lockt nicht so recht. Aber wir finden uns recht gut zum Fluß durch.
Dort begrüßt uns Pont-au-Mousson bei sommerlichen Temperaturen im strahlenden Sonnenschein (Späßle g’macht…).

Jakobsweg Frank Stückradt im Regen vor Pont a Mousson

Strömender Regen und heftige Winböen. Aber die Stadt hat bestimmt ein lauschiges Plätzchen für uns…

Wir überqueren die Mosel Richtung Stadt im strömenden Regen bei kräftigem Wind, während uns Menschenmengen entgegenkommen.
Hmmm… Ist es mit der Gastronomie in der Stadt möglicherweise dünne?
Nach der Brücke halten wir uns am Fluß in Richtung der Klosteranlage. Die präsentiert sich aber eher säkulär als luxuriöses Tagungshotel und läßt auch den Besuch der Kirche nur gegen kleine Scheine (nein, Münzen reichen nicht!) zu. Schnelles, erschwingliches Essen ist da Fehlanzeige.
Wir trotten zurück in die Straße, die zur Brücke führt und wählen dort nach einer Promenade in vollständiger Länge das kleinste Übel.
Es gibt so etwas wie Sandwich und Café au Lait, und das weckt die Lebensgeister.
Optimistisch legen wir uns ein wenig trocken und verlassen das Etablissement im strahlenden Sonnenschein und bester Laune.
Doch schon auf der anderen Brückenseite ducken wir uns in den Windschatten eines größeren Gebäudes, der uns vor dem nächsten heftigen Schauer schützt, um unsere Regenklamotten wieder anzulegen.
Zurück durch Maidières erklimmen wir das westliche Moselufer und erreichen den schützenden Wald.
Der Weg ist gut zu finden, um Jezainville holen wir uns die Höhenmeter des Tages und durchqueren ein Tälchen.
Die Höhenmeter machen meines Begleiters Knie wieder große Freude, so sehnen wir schon bald das Etappenziel herbei.

Nach Jezainville eckelt sich der Weg am Waldrand entlang und ein gelber Ball erscheint am Himmel.
Es kommt zu den ersten, fast schon frühlingshaften Ausblicken; das helle Calcit-Gestein trägt dazu bei…

Freudig nähern wir uns unserem Etappenziel Dielouard. Da gibt es ein Hotel, das Navi kennt die Adresse, also los!

Jakobsweg Dielouard Ortsmitte

Dielouard Downtown

Dielouard begrüßt uns eher mäßig aufgeräumt und ein wenig ungastlich, aber wir haben ja einen Plan…
Wir lassen das Ortszentrum hinter uns liegen und orientieren uns an der Hauptstraße Richtung Süden.
Die zieht sich, und mit der Zeit beschleicht uns ein seltsames Gefühl. Das Navi sagt noch, wir wären richtig.
Am Ortsausgang ist klar: Hier ist aber mal was ganz mächtig faul!
Wir achten jetzt mal ganz bewußt auf die Hausnummern (wenn sie denn dran stehen) und merken, daß das ganz klar die falsche Richtung ist.
Also zurück.
Eine gefühlte Viertelstunde.
Wir erreichen das Grundstück, das die Hausnummer des Hotels tragen sollte. Das Hotel können wir trotz heruntergelassener Läden gut finden und erkennen.
Nur erreichen können wir es durch den Bauzaun leider nicht (den sieht man übrigens auf dem letzten Bild).
Auf der Straße gibt es keine Passanten, die sich an unseren Flüchen stören könnten.
Immerhin sind in der Nähe in paar kleine Geschäfte. Aber die bestätigen die schlimmsten Befürchtungen:
Ja, das war das einzige Hotel im Ort. Sonst gibt es nichts. Nein, auch nichts einfaches, einfach nichts.
Die nächste Bleibe für Touristen? Hm. Vielleicht die Straße runter, etwa 6km bis Belleville. Nein, man wisse nicht sicher, ob es da etwas gäbe…
Es ist immerhin Dienstag, noch nicht so spät am Nachmittag.
Also lassen wir uns den Weg zur Mairie erläutern. Vielleicht haben die eine Idee…

Erst Mal haben sie einen Pilgerstempel für uns. Den ersten des Jahres.
Dann gelingt es mir, nicht nur das Mitleid, sondern auch den Ehrgeiz der zunächst etwas reservierten Dame am Empfang zu erregen.
Sie beginnt, zunächst etwas genervt, dann aber schlicht erstaunt über das Ergebnis, die nähere Umgegend nach einer Bleibe für die Nacht abzutelefonieren. Hinter uns warten zwischenzeitlich zwei weitere Kundinnen, die in klischeehaft-dörflicher Manier in die Suche einbezogen werden…

Das bringt aber alles nix, bis das Wunder des Tages geschieht:
Fatima war eigentlich nur nach der Arbeit schnell noch auf der Mairie vorbeigefahren um ihren Perso verlängern zu lassen.
Als sie unser Problem mitkriegt sowie die Preise, die Ferienwohnungen in zehn Kilometer Entferung aufrufen wollen (270 Euro pro Nacht), sagt sie zunächst als Spaß “Na, für das Geld mach’ ich’s auch!”.
Dann beginnt sie nachzudenken.
Kurz drauf erklärt sie, sie habe da ein Zimmer frei, ihre Tochter wäre nicht da. Es wäre zwar nicht groß, aber es wäre da. Gleich im Ort…
Sie checkt das kurz mit Ihrem Mann ab, das ist aber wohl eher Formsache. Es wirkt nicht so, als habe er große Chancen, etwas einzuwenden.
Um Mal ein Bild von Fatima zu zeichnen: Stellt Euch die nordafrikanische Variante von Aretha Franklin in “Blues Brothers 2000” vor. Nur kleiner, lebhafter und eben französisch.
Ich kann nicht anders als die Frau spontan zu umarmen.
Natürlich müssen wir dann noch warten, bis die Sache mit dem Perso erledigt ist, bevor wir zu ihr ins Auto steigen können.
Uns erwartet ein von außen unscheinbares Haus, das innen sehr schön renoviert und modern eingerichtet ist.
Paul ist schon in Rente, er hat das selbst gemacht. So ist auch sein Händedruck.
Während Fatima eher schnattert, ist er sehr ruhig und wirkt etwas grummelig. Das liegt sicher auch eher an der etwas guturalen, knurrigen Aussprache.
Bei einem Espresso und etwas Gebäck erzähle ich unsere Geschichte, und es dauert ein wenig, bis sich das Vokabular zwischen uns etwas eingeschwungen hat. Nun ja, bald soll die Rettung meines Sprachzentrums nach Hause kommen, Fatimas 14-jähriger Sohn Fari.
Der rettet mein Sprachzentrum dann allerdings nicht, denn er traut sich mit seinem Deutsch nicht heraus.
Fatima läßt uns mit Paul und Fari allein und krempelt das Dachgeschoß um. So klingt es zumindest. Ich erfahre mehr über Pauls sportliche Ambitionen und mein Mitwanderer und Fari stellen sich auf die Bildsprache des europäischen Fußballs ein. Schließlich ist der Heimatverein – mein Gott, hoffentlich schreibe ich jetzt nichts falsches – von Frank Ribbery in Metz.
Nachtem das Gepolter im Dach aufhört, zeigt Paul uns die Dusche und wir machen uns salonfrisch.
Das Abendessen soll – leider – nicht aus der auf dem Herd in Küchenmitte stehenden Tajine kommen, sondern aus der Pizzeria um die Ecke (ein Herzenswunsch von Fari).
Wenngleich Fatima öfters wiederholt, sie wäre mit dem Sprichwort “Wo es für einen reicht, werden auch Zehn satt!” aufgewachsen.
Schade! War es vielleicht ein Fehler, meine Hilfe in der Küche anzubieten?
Eine Runde wildes französisches Multikulti flammt bei der Frage auf, ob die zu liefernde Pizza denn auch halal sei.
Beim Essen geht’s um Gott und die Welt, und das ist für mich so rein linguistisch ganz schön schwer. Wenn ich jetzt unwissentlich eine heilige Gans schlachte, sitzen wir auf der Straße!
Wir unterhalten uns – nach wie vor auf mein Dollgemetsche gestützt – wirklich kurzweilig.
Bis es ins Bett geht.
Ja. Das Bett…
Ist etwa 1,80 lang und 1,20 breit. Eine aufgeklappte, eher kleinere Schlafcouch.
Ich kriege die Wandseite, denn da kann ich meine Füße noch auf einen Koffer legen.
Als ich kurz vor dem Einschlafen bin, fühle ich, wie sich mein Kampfgenosse regt und aufsteht, um das Dachfenster zu schließen.
Ich fühle kurz freien Fall und höre dann den Schlag. Benommen bleibe ich liegen, und das ist auch gut so.
Mein Gewicht auf der äußeren Kante war nachdem das Gewicht der zweiten Person wegfiel – man kennt den Effekt von Bierbänken – außerhalb des tragenden Querschnitts, und so ist das Bett eben gekippt. Glücklicherweise hat es mich nicht komplett abgeladen, denn es wäre dann möglicherweise auf dem im Raum stehenden Glastisch niedergegangen.
Wir haben ziemlich viel Spaß und ein wenig Glück, denn es ist nix kaputt.
Am nächsten Morgen auf den Lärm angesprochen ist die offizielle Erklärung, daß ich aus dem Bett gefallen bin…

Eine erholsame Nacht sieht wohl anders aus.

Fazit des fünften Tages:
Eine Geschichte, wie sie nur eine eher mäßig geplante Langstrecken-Wanderung schreiben kann!
Mit Wetter zum Anfassen und nachdenlichen Momenten.
Physisch in Ordnung, von mir aus könnte es etwas mehr sein. Aber andererseits: Im Regen auch noch beeilen, nein, das wäre nix!

Nachtrag:
Später auf dem Weg traf ich Karl.
Der war im Herbst 2015 in der Gegend. Zu diesem Zeitpunkt ging man in der Mairie bereits wieder wesentlich routinierter mit Pilgern um:
Es gibt in Dielouard wohl ein Haus, das für Pilger gegen überschaubares Entgelt zugänglich ist. Also: Immer mal lieber in der Mairie fragen!

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