40. Tag: Monistrol d’Allier – Le Sauvage

Montag, 9. Oktober 2017
Strecke: 33,0km – Etappe: 164,3km – Gesamt: 1.230,9km
Gehzeit: 9:45 brutto / 7:30 netto.

Heute Morgen kommen wir nicht in Schwung. Im Tal ist es trüb, neblig und nieselig. Also treibt uns nichts vor die Tür. Wir denken nach, ob wir heute tatsächlih die gestern Abend bei Rotwein optimistisch lang geplante Etappe angehen wollen oder unser Tagwerk verkürzen wollen.

Dabei werden wir uns langsam unseres Standortvorteils bewußt. Das Gros der gestern in Le Puy Gestarteten hat in Saint Privat d’Allier übernachtet, ist also gut zwei Stunden hinter uns. Wenn wir jetzt so langsam in die Schuhe kommen und die geplante volle Strecke durchziehen, könnten wir weiterhin etwas Ruhe haben. Klingt nach einem guten Plan. Dann also doch los, zumal es im Tal langsam etwas heller wird – der Wetterbericht verspricht sogar Sonne.
Das Ziel des Tages liegt wirklich mitten im Nichts. Dort gibt es genau eine Unterkunft. Oder keine. Also stecken wir etwas Energie in eine Reservierung, und das klappt. Man sagt uns, wir hätten Glück, es wäre überraschend voll. Ja, klar, das sind die, die am Samstagmorgen in Le Puy gestartet sind.

Wir starten entlang der Straße über die schlichte aber doch etwas schwindelige Stahlbrücke und wenden uns den gestern bei der Suche nach einer Unterkunft gesehenen Geschäften zu. “Zu” ist das Stichwort.
Es brennt zwar Licht und im Geschäft sind zwei ältere Herren – der eine hinter, der andere vor der Theke – neben einem großen Korb frischer Baguettes zu sehen. Aber an der Tür hängt ein Schild, wegen eines Unfalls wäre geschlossen. Und das sagen sie uns dann auch als wir den Verkaufsraum betreten und uns Richtung Theke orientieren. Ja, da wären Baguettes, aber, nein, das Geschäft wäre geschlossen, man könne sie nicht kaufen. Einen Moment bin ich versucht, einen Euro auf die Theke zu legen und mir ein Baguette zu nehmen. Aber der Blick der beiden Herren sieht eher nach der zuvorkommenden Gastfreundlichkeit einer an der Thekenrückseite griffbereiten Schrotflinte aus während sie ihr Gespräch andererseits fortsetzen als wären wir gar nicht vorhanden. Na gut, es ist noch früh am Morgen. Irgendwo unterwegs wird’s schon was geben (Das Bild des Wagens aus “Der fliegende Händler” huscht kurz durch meinen Kopf.)…
Wir haben im Tal übernachtet, also geht es direkt nach dem Verlassen des Ortes eine ganze Weile stramm bergauf. Monistrol d’Allier bleibt allerdings auch im gnädigen Morgenlicht ziemlich häßlich. Schon nach etwa eineinhalb Kilometern erreichen wir die Chapelle de la Madelaine, eine mit dem Berg verschmolzene Kapelle. Etwas unterhalb erwartet ein einheimischer (?) Händler die vom Aufstieg Erschöpften mit Bananen, kühlen Getränken und verschiedenen kleinen Jakobs-Devotionalien (Aha, da scheint also tatsächlich etwas los zu sein auf dem Weg!). Den Schlüssel für die Kapelle hat er nicht. So halten wir unseren Aufenthalt kurz, wir sind ja auch gerade erst losgelaufen und dabei, in Schwung zu kommen.

Die Kapelle war aber erst ein Drittel des ersten, starken Anstiegs. Wir kraxeln weiter und haben recht schnell wieder die Ausgangshöhe von etwa 1.000 Metern Meereshöhe erreicht.

Die nun folgende Hochebene heißt “Margeride”. Eine sehr verlassene Gegend, in der es einem schon ein wenig unheimlich vor wilden Tieren werden kann. Aber das sind ja nur Sagen…
Das Wetter tut ein Übriges. Es regnet nicht, aber die Wolken schauen schon zweifelnd aus, es ist nicht stark aber ziemlich durchdringend windig.

Es geht weiter durch endlose Weiden ohne viel Vieh oder menschliche Gesellschaft. Das Kalkül mit der atypischen Etappenplanung scheint aufzugehen. Natürlich gibt es weiter Fußspuren, und auch die Spuren des Gepäckwagens sind immer wieder klar zu erkennen. Der Weg steigt weiter sanft an, so dass wir etwa bei Kilometer 11 die 1.100 Meter Meereshöhe erreichen.

Kurz darauf erreichen wir um Kilometer 13 Saugues, das uns mit einigen kurzweiligen Skulpturen und vielen Schildern mit Werbung für Unterkünfte begrüßt.

Saugues zieht uns ansonsten nicht sonderlich an, die Wegführung geht eher am Rande der Kleinstadt entlang. Es ist irgendwie kühl und wir könnten ein warmes Mittagessen gebrauchen. Das finden wir völlig überteuert in einem Pub direkt am Weg. Wenigstens hat es geöffnet.
Wir verlassen Saugues wieder, zunächst auf der Hauptstraße aber ziemlich bald schlägt sich der Weg wieder in die Weiden. Und es geht weiter sachte bergauf. Langsam aber sehr stetig.
Der Himmel reißt etwas auf und sofort wird es wieder etwas angenehmer.
Es bleibt einsam. Um Kilometer 20 herum passieren wir noch La Clauze, und dann lassen wir die Zivilisation für heute völlig hinter uns. Die nächsten zehn Kilometer kommen noch ein paar vereinzelte Gehöfte, aber das war’s jetzt erstmal.

So langsam geht die Steigerei etwas in die Knochen. Und es wird abwechselnd warm und kalt, je nachdem, wie es Wind und Waldstücke mit uns gerade treiben.
Endlich scheint bei Kiloemter 30 die Höhe erreicht, es geht ein kleines Stück abwärts und der Wald öffnet sich mir-nichts-Dir-nichts im schon recht tief stehender Abendsonne zu einer großen Rodung, auf deren anderer Seite sich ein riesiges Gehöft in den Schatten duckt. Das Panorama läßt sich schwer in Worte kleiden, einerseits sehr wild und rauh, andererseits menschengemacht.

Wir erreichen den aus der Nähe dann doch sehr liebevoll restaurierten Hof.

Dort sagt man uns direkt bei der Ankunft, dass wir doch bitte nur kurz unsere Rucksäcke in den Schlafsaal stellen mögen, das Essen würde gleich um 7 beginnen. Die hungrigen Gesichter der an der Bar Wartenden untermauern diese Aussage äußerst eindrucksvoll.
Also lassen wir uns den Weg um das Gebäude herum in den Schlaftrakt erklären, nehmen dort die letzten beiden Betten in Beschlag. Ich sehe, dass neben dem Nachbarbett ein roter Einkaufstrolley steht.
Leichte Schuhe an und ab zum Essen!
Es gibt Deftiges in einer ordentlichen Portion. Suppe, Fleisch, dunkles Brot, Kartoffelstampf, Nachtisch, Käse.
Und etwas für uns völlig Neues: Andere Menschen am Tisch, die auch auf dem Weg sind. Wir sind am Tisch in eine Gruppe lautstarker Franzosen geraten, die sich vor allem über das heute Erlebte austauschen wollen.
Nach dem Essen zieht die Meute in Richtung des Schlaftrakts und wir befürchten, dass es die ganze Nacht so weiter gehen würde. Tut es aber nicht.
Auf dem Weg ums Haus herum ist es ziemlich dunkel. Und der Blick nach oben läßt mich für eine ganze Weile regungslos verharren. So klar habe ich die Milchstraße noch nie gesehen! Ich habe sogar Glück und in den wenigen Minuten, die bleiben, bevor mich der kalte Wind dann doch ins Haus treibt, gibt es noch eine Sternschnuppe.
Im Haus ist es auch schon deutlich ruhiger. Zwar hat jeder noch ein wenig zu kruschteln, aber beim Auspacken und Warten auf eine freie Dusche komme ich doch in den Genuß der Geschichte zum Einkaufstrolley: Jorge (ich nenn’ ihn mal so) ist pensionierter Spanier. Er hat lange in der Schweiz gearbeitet und spricht daher etwas Deutsch. Aus demselben Grund begann sein Weg in der Nähe von Basel. Ziemlich schnell hat er gemerkt, dass er mit einem Rucksack nicht klarkommt weil er vom Rücken bis zu den Knien Schmerzen hat und durch das zusätzliche Gewicht außerdem Blasen und Probleme mit den Fußnägeln bekommt. Zwei oder drei Fußnägel später hat er dann beschlossen, sein Gepäck teilweise heimzuschicken und den Rest in den unterwegs gekauften Trolley umzuladen. Seither ist er mit dem Ding unterwegs. Aufgeben war für ihn keine Option.
Nach der Dusche sind wir die Letzten und machen das Licht aus.
Keiner schnarcht extrem laut – das tönt aus einem der anderen Schlafräume entfernt herüber – und so wird es mal wieder schnell Nacht…

Fazit des Tages:

Sehr schöne Etappe durch eine zunehmend wilde Landschaft. Durch die regelmäßige Steigung doch auch anstrengend. Das Klima ist zwar freundlich, aber in der Grundstimmung schon etwas rauh – der Wind kann auch kühl! Wir haben mit dem Wetter wieder mal Glück. Nur das mit den Vorräten mag bei diesem Abschnitt bislang nicht so richtig klappen.
Unterwegs treffen wir noch recht wenige Menschen, aber die Spuren des Weges in der Landschaft und Wirtschaft der Region werden klarer. Das Ziel des Abends ist ein wirklich faszinierender Ort mitten in der Wildnis, der seinem Namen alle Ehre macht. Hier geht’s im Winter bestimmt extrem wild zu!

2 Replies to “40. Tag: Monistrol d’Allier – Le Sauvage”

  1. David

    So unterschiedlich sind die Ansichten. Ich fand beim Aufstieg den Blick auf Monistrol d’Allier idyllisch und sehr schön und ganz und gar nicht hässlich. Inmitten der Berge liegt der kleine Ort recht gemütlich an einem Fluss in der grünen Landschaft eingebettet.

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    • Frank Author des Beitrags

      Definitiv. Hast recht.
      Hängt deutlich auch von der Grundstimmung ab. Als wir den Ort erreicht haben, waren wir müde und angefressen. Und es war gerade etwas mehr Verkehr und Lärm. Also haben wir ein farbloses Strassenkaff gesehen, in dem zudem noch alles zu war.
      Und solchermassen voreingenommen (und in der Bäckerei bestätigt) haben wir natürlich auch genau das wieder gesehen als wir am nächsten Tag los sind.
      Es ist echt schwer, jeden Tag mit neuem Blick auf Bekanntes zu schauen!

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