20.Tag: Auberive – Tarsul

Donnerstag, 15. Oktober 2015
Strecke: 39,3km – Etappe: 156,9km – Gesamt: 671,2km
Gehzeit: 8:00 brutto / 6:45 netto

Die Nacht war dunkel und ruhig. Ziemlich absolut.
Ich komme also gut erholt und nicht allzu spät aus den Federn.
Verquatsche mich aber beim Frühstück ein wenig mit der anderen Reisenden, die gestern spät angekommen ist.
Sylvie ist eine eher junge Jugendbuch-Autorin, die gerade ein Buch über die Reise der schwarzen Störche schreibt.
Schwarze Störche? Ja, die gibt’s tatsächlich und sie ziehen gerade hier durch die Gegend.
Ich schaue sie zweifelnd an: Also gestern war hier so fieses Wetter, daß die meisten Vögel zu Fuß gegangen sind! Da wären mir schwarze Störche sicher aufgefallen! Und der Blick aus dem Fenster verheißt für heute nicht gerade Besseres.
Sie bleibt dabei, und ich verspreche ihr, unterwegs die Augen aufzuhalten.
Dann telefoniert die Herbergswirtin freundlicherweise noch mein Zielgebiet ab und findet einen Ort weiter als ursprünglich geplant noch eine Unterkunft. Ja, natürlich möchte ich gerne auch zu Abend Essen.
Woher sie denn anriefe? Was? Aus Auberive? Das wäre aber weit! – “Keine Sorge, der schafft das schon, der hat lange Beine!”
Und so stehe ich kurz drauf in der diesigen Kälte. Es sah nach Nebel aus, ist aber Sprühregen, also gleich in die Regenklamotten.
Zudem ist es fies kalt!
Ich laufe die ersten Kilometer auf der wenig befahrenen Straße Richtung Vivey um dort auf den geplanten Weg zurückzukommen.
Nach etwa 3 Kilometern nehme ich erstmalig wahr, daß das, was vom Himmel fällt, teilweise weiß ist.
An manchen Stellen ist eine Eisschicht auf den Wiesen, ein Transporter, der mir entgegen kommt, ist voller Schnee.
Na toll, das wird ja Klasse!
Aber nach ziemlich genau 5 Kilometern wird mir dann an einem direkt an der Straße liegenden Gehöft ziemlich schnell ziemlich warm als eine Kuh neben mir plötzlich einen schreckhaften Satz macht und ich als Ursache dafür einen großen, schnell an Nähe gewinnenden Schäferhund ausmachen kann. Mit strammem Schritt und etwas Glück schaffe ich es gerade noch so aus der Zone, die er als sein engeres Revier zu begreifen scheint, und so macht er sich glücklicherweise nicht die Mühe, bei dem Sauwetter den Hof zu verlassen. Sauviech!
Auf der Straße geht es bergauf, bergab weiter nach Vivey (bei Kilometer 6), zu sehen gibt es auf den ersten 15 Kilometern eher nichts. Immerhin geht die Temperatur wieder deutlich über den Gefrierpunkt und der Niederschlag wird leichter.
Dann verläßt er ausgeschilderte Weg kurz die Straße.
Dann erreiche – oder besser passiere – ich die Postkartenidylle von Grancey-le-Chateau.

Es geht weiter durch Feld und Wald, teilweise mit kräftigen Steigungen und Gefällen. Ich bemerke, daß ich wieder ein ziemlich irrsinniges Tempo drauf habe als ich beim Prüfen der Richtung aus dem Augenwinkel die Zahl “6,5km/h” auf der Anzeige sehe. Freilich, es geht gerade etwas bergab, aber das kann irgendwie nicht gut sein. Dennoch geht mir’s bestens…
Es gibt ja nix weiter zu sehen außer Wald, Wald, Wald. Die Tiere haben sich verkrochen, es ist zu kühl um irgendwo eine Pause einzulegen, zumal es wieder mal keinerlei halbwegs komfortale Sitzgelegenheit gibt.
Mann, Mann, Mann…
Wenn ich mal richtig reich bin, gründe ich eine gemeinnützige Stiftung, die an den von mir begangenen Etappen des Jakobswegs alle 3-4 Kilometer eine kleine Sitzbank aufstellt!

Etwa bei Kilometer 26 finde ich in Avot eine kurze Rast, bevor es wieder in den großen Wald geht.
Ist echt schade, daß die Tiere heute alle Pause haben. Man kann sie riechen, man kann die frischen Spuren sehen.
Aber egal, wie leise ich bin, ich kriege keines zu sehen!
Bei Kilometer 32 erreiche ich Poiseul-les-Saulx.
Die Infrastruktur ist zwar auch hier sehr dünn, die Straße leer. Aber hier hat man definitiv ein Herz für Reisende.
Ein paar Schritte weiter steht das alte Backhaus des Ortes, das der Bürgermeister als Pilgerhütte hergerichtet hat.
Drinnen stehen ein paar Stühle, Bilder an den Wänden zeugen von netten Abenden, an denen die Anwohner die Bude für die Pilger eingeheizt haben. Artig trage ich mich mit klammen Fingern und wackeliger Schrift in das Gästebuch ein.

Nach diesem Kleinod geht es kurz durch Felder, und schon bald stehe ich wieder im Wald.
Da gibt es auf den letzten Kilometern nicht mehr viel zu navigieren.
Bei Kilometer 36 komme ich aus dem Wald und erreiche eine recht viel befahrene Straße.
An dieser Stelle kürze ich ein wenig ab und spare mir den Schlenker über das ursprüngliche Etappenziel Courtivron.
Tarsul ist in Sichtweite, und schon nach kurzer Zeit bin ich am Abzweig Richtung Ort.
Die Unterkunft ist leicht zu finden, und der Empfang ist buchstäblich warm:
Die Wirtsleute sind supernett und erwarten mich mit einem offenen Kaminfeuer in der Wohnküche.
Praktisch am Eingang nimmt man mir die nassen Schuhe ab und verspricht, sie im Heizungsraum zu trocknen – ja, natürlich achte man darauf, daß sie nicht der direkten Wärme ausgesetzt werden. Ich wäre aber ganz schön schnell gewesen, man hätte mich frühestens in einer Stunde erwartet.
Ich bin der einzige Gast heute und entsprechend luxuriös ist die Unterbringung: Ich habe ein helles Zimmer mit großem Bett für mich alleine, ebenso das großzügige Bad.
Wir stimmen uns kurz hinsichtlich der Abendessenszeit ab und ich habe sattsam Zeit, mich unter der vielseitigen Dusche aufzuwärmen und einen laaangen Moment ins Bett zu muckeln.

Die beiden Wirtsleute sind echt nett und ich werde göttlich bekocht, mit Suppe, Quiche, Salat, Pasta Pesto, Käse, einem Dessert, Kaffee,…
Eigentlich wolle man ja ein wenig auf die Linie achten, aber wenn schon mal gekocht wäre, könne man schon ruhig auch einen Happen mitessen…

Ich erfahre, daß mein Timing wirklich gut wäre:
Am Wochenende beginnt die Jagdsaison. Da würde in den Wäldern, durch die ich in den letzten Tagen gekommen bin, buchstäblich auf alles geschossen, was sich irgendwie bewegt. Die Jäger würden extra aus der Schweiz und Italien anreisen, denn die heimischen wären dem übermäßigen Wildbestand nicht alleine gewachsen. Die Jagdgebiete würden nicht weiter gekennzeichnet, in der Gemeinde würde eine Liste mit den Jagd-Tagen ausliegen aber am Weg gäbe es dann keine Markierungen oder weitere Warnungen. Und Absperrungen oder Jagdhelfer schon garnicht.
Wer hier in der Gegend wohnt, geht einfach zwischen Mitte Oktober und Ende Februar nicht in den Wald.
Ich nehme das ungläubig lächelnd mit Small-Talk-Miene auf – später mehr dazu…

Die Gäste des nächsten Tages wären acht Jäger, auch da hätte ich Glück gehabt, daß ich heute gekommen wäre. Denn morgen wären sie ausgebucht.
Es ist ein netter Abend, und nach dem Tagespensum und dem eher kühlen Wetter ist es überflüssig zu sagen, daß es um mich herum mal wieder ziemlich schnell Nacht wird.
Die Hirsche, die angeblich nachts bis fast in den Ort kommen, höre ich nicht röhren.

Fazit des Tages:
Mit fast 40 Kilometern und einigem Auf und Ab war es kein leichter Tag, aber ich bin wieder gut vorangekommen.
Trotz des recht hohen Tempos geht es mir körperlich sehr gut.
Ich hab’ jetzt aber allmählich auch genug Wald gesehen!
Und sehne mich schon auch mal wieder nach einer Stadt mit etwas Infrastruktur!

2 Replies to “20.Tag: Auberive – Tarsul”

  1. David

    Ein halbes Jahr später übernachtete auch ich bei der Familie. Nichts gegen ein gemütliches Hotelzimmer, aber ich fand solche Begegnungen, in denen ich in die französische Lebensweise eintauchen konnte, immer sehr erfrischend und interessant.

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    • Frank Author des Beitrags

      Definitiv!
      Obwohl die Geschichte dieser Familie schon eine recht traurige war. Aber der Ort, den sie da geschaffen haben, ist extrem nett.
      Wenn Du den Komfort des Hotelbetts verlässt – das wird ab Le Puy deutlich einfacher – wirst Du viele interessante Wirtsleute treffen!

      Antwort

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