Donnerstag, 2. April 2015
Strecke: 32,9km – Etappe: 199,2km – Gesamt: 452,6km
Gehzeit: 9:00 brutto / 7:00 netto
Der Tag in Toul startet gemächlich, denn der Blick aus dem Fenster lockt nicht gerade vor die Tür. Der Himmel ist dunkel, es nieselt vornehm vor sich hin.
Wir frühstücken recht gemütlich und schmeißen die Elektronik an.
Das Novum heute: Ab hier sind die Tracks handgemacht, mit GPSies.Com und den Angaben im Pilgerführer. So genau es eben aus der Vogelperspektive abzuschätzen war. Wir sind gespannt.
Der Startpunkt ist recht leicht zu finden, denn Toul hat in diese Richtung nicht wirklich viele Ausgänge und wir haben in der Nähe übernachtet. Zudem ist der Weg vorbildlich ausgeschildert.
Ein letzter Blick zurück auf Toul, so lange es noch zu erkennen ist.
Der Weg trennt sich von der Siedlung und führt durch Felder; es fühlt sich ein wenig an als würden wir im Kreis laufen. Aber Es gibt keinen Zweifel: Ausgeschilderter Weg und Track passen zusammen und alles deutet auf geografische Bewegung hin.
Das fruchtbare Weideland genießt den Regen. Wir eher weniger.
Wir erreichen den Höhepunkt des heutigen Tages: Das große Waldstück zwischen Mosel und Maas.
Etwa bei km 7,5 geht es in den Wald hinein, der Weg steigt an. Und etwa bei km17 wird der andere Waldrand endgültig verlassen.
Dazwischen Aufregung pur, es regnet stabil vor sich hin, wenig Wind.
Immerhin treffen wir nach einigen Kilometern eine Handvoll Waldarbeiter, die allerdings keine Anstalten machen, bei dem Wetter tatsächlich im Wald zu arbeiten.
Der Weg ist ein überwiegend gut ausgebauter Waldwirtschaftsweg mit sehr fest komprimiertem Untergrund. Das hindert das Wasser am Ablaufen und schafft beeindruckende Pfützen.
Schließlich kommen wir aus dem Wald und erreichen Rigny-Saint-Martin.
Das machte schon auf der Karte keine großen gastronomischen Hoffnungen und der Eindruck bestätigt sich auch.
Immerhin haben wir die große Wildnis äußerst paßgenau durchquert, und das gibt uns etwas Vertrauen in die selbstgemachte elektronische Navigation.
Unkompliziert erreichen wir Chalaines.
Hier wäre ein Kaffee recht gewesen, aber auch dieser Ort vermag gastronomisch nicht zu überzeugen.
Immerhin, hier gabelt sich der Jakobsweg, und zwar einerseits die eigentlich tradierte Route ab Trier über Vezelay und die weniger traditionelle Route Richtung Süden. Wegen vermeintlich durchschnittlich freundlicheren Wetters war ja die Entscheidung zu Gunsten der Südroute gefallen.
Wir halten eine kuze Rast auf einer Bank, unter der der Regen gemütlich hindurchplätschert.
Ein Snack wär’ auch nett. Mit Blick auf die Karte entscheiden wir uns für einen kleinen Abstecher.
Statt uns an der Kreuzung direkt nach links zu wenden, machen wir einen Umweg über Vaucouleurs mit seiner international anerkanntermaßen großzügigen gastronomischen Ausstattung. Also über den Fluß und über eine der nächsten Brücken wieder auf die ursprünglich geplante Route zurück.
In Vaucouleurs begrüßt uns Jeanne d’Arc. Denn Vaucouleurs hat die Gute ihrerzeit mit Waffen und Geld ausgerüstet und dergestalt für den höheren Ruhm präpariert.
Heute allerdings ist in Vaucouleurs ziemlich tote Hose.
Als wir uns dem Ortsausgang nähern, gehe ich eigentlich ohne Hoffnung auf die unbeleuchtete abgedunkelte Tür eines Restaurants zu.
Und siehe da, sie läßt sich öffnen.
Allerdings habe ich im ersten Moment den Eindruck, diese Tür besser eher nicht geöffnet haben zu wollen.
Denn vor mir stehen zwei Schränke. Ein tätowierter Dark-Ager und ein feister Rocker mit Armen wie ich Oberschenkeln.
Beide schauen nicht so als wäre die Kneipe offiziell offen.
Ist sie aber doch, und die beiden sind eigentlich ganz in Ordnung. Die Sandwiches fallen hinsichtlich des Belags glaubhaft grobmotorisch aus…
Wir machen uns bald weiter, um uns zunächst an der Straße entlang nach Neuville-lès-Vaucouleurs und dann über die fruchtbaren Weiden in Richtung nächster Brücke über die Maas (die hier Meuse heißt) zu schlagen.
In den Weiden kommt es zu einer weiteren denkwürdigen Begegnung und absolut unschlagbaren Unterhaltung.
In der Ferne sehen wir eine Herde Schafe, dahinter einen Geländewagen. Ab und an bewegt sich die Schafherde, der Gelädewagen rückt nach.
Nun ja, der Schäfer hat’s wohl gerne bequem.
Als wir um die Ecke biegen, löst sich der Wagen von der Herde und hält auf uns zu. Wir treffen ihn an einem kleinen Abzweig.
Über das Steuer schaut mit lebhaften, tief und glänzend in den Höhlen sitzenden Augen ein altes Männlein. In blauer Arbeitskleidung, die lose am Körper schlackert. Er steigt nicht aus, sondern läßt nur die Scheibe runter, sein Hund schaut ihm neugierig über die Schulter.
Die Wangen des Mannes sind weit eingefallen, und als er mit heller Stimme zu sprechen beginnt, ist klar warum. Sie werden von innen nicht durch allzu viele Zähne abgestützt. Vielmehr sehe ich abgewetzte Zahnstümpfe, wie man sie eher aus mittelalterlichen Beschreibungen kennt.
Der Mann spricht langsam, einfach und überraschend deutlich. “Uuuuh-effge-wuuuhhf-alleeh-kommmpfa?” Auf Deutsch etwa “Wo glaubt Ihr, daß Ihr so hingeht?” – “Nach Taillancourt” – “Wo kommt Ihr her?” – “Aus Toul.” – “Und davor?” – “Wir sind seit ein paar Tagen unterwegs und in der Nähe von Trier losgelaufen.” – “Düüüh…Trääääf? Aaah Piiee? Puuurkwah fäär ffaah?!?” (Aus Trier? Zu Fuß? Warum sollte man denn das machen?) – “Zur Erholung.” – “La Rekkreapfion…Pfff…” (Zur Erholung. Pfff.). Der Alte kriegt sich vor Kichern kaum ein.
Ende des Gesprächs, der Wagen fährt zurück zu den Schafen. Die erzählen wenigstens nicht so einen Blödsinn!
Wir nähern uns ebenfalls kichernd Sepvigny. Kurz vor Sepvigny überqueren wir die Meuse und ab der Ortschaft halten wir uns auf der Straße Richtung Süden.
Hier kann man wieder sorgenfrei auf der Fahrbahnmitte verweilen.
Schon bald empfängt uns der nächste, äußerst ähnliche Ort – Champougny. Aber die haben zusätzlich eine richtge Kirche, die dem Ortseingang Gesicht gibt.
In Champougny biegen wir ab in Richtung der Felder, und am historischen Waschhaus – leider abgeschlossen – überqueren wir die Meuse erneut.
Es geht durch die Felder weiter zu einem außen liegenden Hof.
Mitten im Hof sehe ich – glücklicherweise, bevor er mich sieht – den großen, freilaufenden Rottweiler. So habe ich wenigstens eine Schrecksekunde, mich auf das Kommende vorzubereiten und mein Mantra aufzusagen.
Rennen ist zwecklos. Ruhig stehen bleiben ist allerdings auch nicht eben leicht. Der meint’s mit der Verteidigung des Weges als Bestandteil seines Reviers wohl schon ernst.
Glücklicherweise kommt bald einer der Bewohner und versichert uns, daß der Hund nicht bissig wäre. Ob der Hund das auch weiß?
Naja, es ist wieder mal gut gegangen und wir nähern uns durch die Felder unserem anvisierten Etappenziel Taillancourt.
Taillancourt empfängt uns ganz gemütlich und entschleunigt.
An der Mairie holen wir uns unseren Stempel und fragen nach, was es so an Unterkünften geben könnte.
Schon bei der Lektüre des Reiseführers hatten wir mit dem direkt hinter dem Ort liegenden Schloß geliebäugelt.
Hier macht man uns allerdings nicht allzu große Hoffnungen. Das wäre eine ziemlich teure, exklusive und luxuriöse Angelegenheit, wohl kaum unsere Preisklasse.
Stattdessen empfiehlt man uns eine Pension etwa 2km entfernt.
Wir beschließen, es trotzdem mal im Schloß zu versuchen, wo wir doch schon mal um die Ecke sind. Und es jetzt auch eigentlich gerade mal wieder genug wäre.
Das Schloß allerdings ist nett anzuschauen und – verschlossen, auch nach heftigem Geläut. Kein Auto vor der Tür.
Aber als wir beraten und forschen, was wir nun tun könnten, kommt ein Mofa um die Ecke. Darauf ein heranwachsender Starkpigmentierter mit einem Rechen. Der macht sich ohne von uns weiter Notiz zu nehmen einfach wieder an seine Arbeit.
Aber wir nehmen von ihm Notiz und sprechen ihn an.
Es stellt sich heraus, daß der bocklos scheinende Gärtner der Sohn des Hauses ist.
Er sagt zwar, daß das Hotel noch so rein grundsätzlich zu wäre, aber seine Eltern halt schon doch auch da. Dann fängt er an, zu telefonieren.
Schon bald empfängt uns die elegante Dame des Hauses und wir werden uns sehr schnell über ein Zimmer einig.
Ein Abendessen könne man uns aber nicht anbieten, denn man hätte kein Restaurant.
Dann kommt ihr Gatte hereingeschneit, und den können wir nach etwas Gejammer über platte Füße dazu überreden, daß er uns eine einfache Kleinigkeit machen könnte.
Topp, die Wette gilt, wir sind im Geschäft!
Kurz drauf sind wir einzige Gäste im Schloß Montbras.
Nach einer edlen Dusche – “Sorry, es gab nur einen Bademantel…” – sehe ich mich ein wenig im Flur um.
Das hat schon was…
Bald schon wird es dunkel, und die Au öffnet sich als Schlachtfeld geisterhafter Reiter…
Das Abendessen nehmen wir in einem Salon aus dem 16. Jahrhundert.
Es gibt “Was wir heute auch essen.”.
Glücklicherweise keine Abartigkeiten, sondern gratinierten Blumenkohl, Schinken, Früchte, Baguette, Käse, was Süßes.
Keine Haute Cuisine, aber mit hab’ ich’s ja eh’ nicht so.
Die Familie ißt allerdings nicht mit uns, sondern in ihren Gemächern. So ist das alles sehr ruhig, und die Atmosphäre ist schon seltsam…
Es gibt “Was wir heute auch essen.”.
Glücklicherweise keine Abartigkeiten, sondern gratinierten Blumenkohl, Schinken, Früchte, Baguette, Käse, was Süßes.
Keine Haute Cuisine, aber mit hab’ ich’s ja eh’ nicht so.
Die Familie ißt allerdings nicht mit uns, sondern in ihren Gemächern. So ist das alles sehr ruhig, und die Atmosphäre ist schon seltsam…
Man überzeugt sich ab und an von unserem Wohlergehen, wir unterhalten uns noch ein wenig mit der Dame des Hauses und schon bald geht’s ab ins Bett. Da knackt zwar hie und da etwas, aber das vermag unseren Schlaf nicht zu bremsen.
Denn wie wir erfuhren, gibt es zwar einen Hausgeist, aber Hektor ist ein ganz netter, der nur ab und an zum Fernsehen vorbeikommt.
Fazit des 7. Tages:
Eine sehr schöne Etappe, sowohl von der Länge als auch von der Gegend her, bei relativ hässlichem Wetter.
Und mit der Unterkunft wieder mal ziemliches Glück gehabt.
Ist das immer so? Kann man sich darauf verlassen?