Dienstag, 21. Oktober 2014
Strecke: 37,6km – Gesamt: 182,3km
Gehzeit: 8:45 brutto / 7:15 netto
Das Biest auf dem Nachttisch schafft es auch heute wieder, frühzeitig meine Aufmerksamkeit zu erregen.
Sehr früh sogar, und so stehe ich schon um kurz nach halb neun bereit auf der Straße.
Meine Füße stehen noch leicht neben sich, die kürzere Etappe gestern hat nicht für merkliche Erholung gesorgt. Das gibts doch nicht! Das muß doch irgendwann nachlassen!
Heute erwartet mich unterwegs vor allem eines: Nichts! Es wird lange geradeaus gehen, praktisch ohne Ortschaften.
Deshalb hatte ich in Kirchberg Station gemacht.
Auch der landschaftliche Eindruck bleibt heute recht harmonisch.
Kurz nach Kirchberg sorgt der “Bissula-Pfad” nochmal für etwas Kurzweil – eine der vielen kleinen Geschichten und Anekdoten, die am Wegesrand lauern.
Prompt lege ich mich vor lauter Grübelei auf ein paar glitschigen Stufen auf die Schnauze. So verdattert und total überrascht, daß ich sogar noch versuche, mich mit den Händen abzustützen statt mich abzurollen. Mann, konzentrier’ Dich! Sowas kann schief gehen!
Kurz drauf werden am Wegesrand die Segnungen des römischen Straßenbaus erläutert:
Von der Straße selbst ist aber weit und breit nichts zu sehen oder zu fühlen.
Außer, daß es von nun an etwa 10km einfach geradeaus geht. Zwar bergauf und bergab, aber geradeaus. Durch wechselnden Untergrund ist es nicht ganz so eintönig, wie ich es mir ausgemalt hatte, und durch die wellige Landschaft geht der Weg nie einfach nur platt bis an den Horizont.
Auf der Strecke versucht eine Gemeinde, Römer-Straßen-Feeling heraufzubeschwören, indem ein Turm im Gebüsch versteckt wird.
- Hier noch später Raps als Farbtupfer, aber ansonsten sieht’s heute so aus, wenn der Wald etwas Sicht erlaubt.
- Was haben Sie uns denn gebracht, die Römer? Im Prinzip hat sich da ja in den letzten 1.800 Jahren nicht viel verändert: Erst kommt das Militär, dann die Kaufleute – nur, daß der Landgewinn heutzutage direkt in Pepsi und Coke aufgeteilt wird…
- Sieht auf den ersten Blick ganz nett aus, ist aber aus Beton gegossen. Und oben ist die Aussicht auch nicht überragend.
Kurz drauf hat man versucht, ein wenig fußmarterndes Pflaster im romanischen Design zu verlegen. So schmal, knollig und anders als die Beschreibung der Straße im ersten Bild vermuten ließe. Also meide ich es.
In der Nähe von Horbruch kommt ein großes Ereignis: Der Weg knickt einige Male schroff ab. Mit Mühe kriege ich die Kurven ohne herausgetragen zu werden und mich im Graben zu überschlagen.
Als ich aus dem Wald herauskomme, bemerke ich eine weitere Veränderung.
Gegenwind; die Temperatur fällt.
In Hochscheid (17,5km) finde ich ein windgeschütztes Plätzchen für eine Pause.
- Ein Blick zurück: Seit Kirchberg ging es praktisch geradeaus…
- Hochscheid. Gegenwind. Die Frisur sitzt.
Während ich in einem kurzen Waldstück bin, trübt sich der Himmel ein und der Wind in den Bäumen nimmt stark zu.
Ich höre jetzt zudem ziemlich lange eine lästig laute Straße.
Kurz nachdem ich sie überquert habe, kommt es etwa bei 20km zum Äußersten:
Wasser fällt vom Himmel!
Wenig zwar, aber ich nutze die Gelegenheit zu einer kurzen Rast und lege danach mein Regenzeug an, inklusive Hut.
Ich bin noch recht lange im Wald unterwegs, aber schon bald läßt sich auch dort der Regen nicht mehr leugnen.
Nach etwa 27km wird es richtig fies.
Der Wald endet und der starke Gegenwind treibt mir den kalten Regen stramm ins Gesicht.
Es geht auf eine Landstraße und aus den mir windgebeutelt entgegenkommenden Autos schauen neidische Augen groß heraus.
Die Landstraße treffe ich noch öfters, und es ist ein großer Genuß.
Bald schützt mich wieder etwas Wald, wenngleich sich dessen Knacken und Rauschen auch nicht immer so richtig komfortabel anfühlt.

Das wollte ich jetzt eigentlich nicht lesen. Zwar wird da jetzt wahrscheinlich keiner mehr arbeiten, aber sicher geht anders.
Nach etwa 31,5km – eigentlich hab’ ich gerade genug und wäre jetzt bereit für einen Cappuccino vor dem offenen Kamin – darf ich trotz guter Ausschilderung nochmal navigieren.
Das Navigieren mit dem Telefon ist im Regen nicht ganz so einfach, denn die von der Hutkrempe fallenden Tropfen sorgen für gelegentliche Fehlbedienungen.
Aber die Umleitung ist nicht sonderlich schwierig zu finden und auch kein ganz großer Umweg.
Als ich danach bei etwa 35,5km aus dem Wald komme, wird’s ganz übel.
Der Regen ist zum Wolkenbruch und der Wind zum Sturm übergegangen.
Es kommt von vorne. Reichlich.
Immerhin kündigt sich die nächste Siedlung durch einen Sportplatz an.
Nach 37km taucht links kurz ein Kirchturm auf. Das muß Haag, mein Etappenziel sein.
Ich rette mich in den Windschatten des Kircheneingangs und schaue mich um.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes ist das übliche Wirtshaus – mit vernagelten Fenstern!
Das Telefon macht mir im Hinblick auf Unterkünfte im Umkreis von 5km keine großen Hoffnungen.
Auch nicht beim zweiten Hinschauen. Und auch beim dritten Mal nicht.
Ich merke langsam, wie mir die Kälte durch die Klamotten kriecht. Die Füße sind naß, aber warm.
Also dann halt weiter, bis es irgendwo doch ein Bett gibt – oder eine Hütte oder einen Hochsitz.
Die Hoffnung, bei dem Sauwetter auf Menschen zu treffen, habe ich aufgegeben.
Ich setze das Telefon auf die nächste Etappe an, mummele mich wieder ein und trete hinaus ins Inferno um weiter zu trotten.
Auf dem Weg Richtung Ortsausgang drehe ich den Kopf aus einer Böe und sehe aus dem Augenwinkel neben heruntergelassenen Rolläden ein Schild: “Ferienwohnung”.
Ich klingele – und bin gerettet!
Zwar fühle ich mich ein wenig wie Rübezahl (oder Odin oder Shiva; die machen das alle ganz gerne), der bei Sturm durch die Dörfer zieht um die Leute zu foppen, aber die Wirtsleute glauben mir und geben mir ein Bett und reichlich zu essen. Und trocknen meine Schuhe und Regenkleider in ihrem Heizungskeller. Und kochen Kaffee. Und haben eine warme Dusche. Es dauert ziemlich lange, bis ich wieder richtig warm bin. Den Anblick meiner zurückgehenden Schrumpelfüße mag ich nicht genießen, denn die Blasenpflaster waren bei der Feuchtigkeit eine recht fruchtbare Verbindung mit den Socken eingegangen.
Draußen geht weiter die Welt unter, und auch drinnen umfängt mich bald schon pechschwarze Nacht…
Fazit des fünften Tages:
Die lange Gerade war gar nicht so lang und gerade wie erwartet. Zwar habe ich an diesem Tag – ich hab’ mitgezählt – nur neun Menschen getroffen (die in Autos nicht mitgezählt), aber ich habe sie auch nicht vermisst.
Rechts und links des Weges hätte es im Abstand von weniger als zwei Kilometern immer mal wieder Unterkünfte gegeben.
Mit Blick auf das Wetter hätte ich mir den Sturm durchaus ersparen können. Das hat am Ende echt Kraft gekostet.
Mich aber wieder ein ordentliches Stück voran gebracht.