25.Tag: Chagny – Saint Désert

Mittwoch, 21. Oktober 2015
Strecke: 24,5km – Etappe: 292,2km – Gesamt: 806,5km
Gehzeit: 7:30 brutto / 5:00 netto

Die Nacht in Chagny ist ruhig. Im Hinterhof des Hotels regt sich aber absolut sowas von nichts…
Der Tag begrüßt mich etwas kalt und neblig, so daß ich mir mit dem Frühstück etwas Zeit lasse.
Gerade aus Chagny heraus geht es recht bald durch Felder in einen kleinen Wald.
Bei etwa 3km treffe ich an der Kreuzung auf einer Lichtung auf einige ältere gut bewaffnete Herren mit signalfarbenen Kappen und Hunden. Jäger.
Ich spreche sie kurz an, ob hier heute eine größere Jagd wäre und mein Weg denn durch ihre Jagdgründe ginge.
Sie bescheiden mir kurz, nein, sie würden in die andere Richtung gehen. Aber ob da, wo ich nun lang wolle, noch jemand sei, das wisse man nicht. Schließlich würde jetzt gerade überall gejagt. Am sichersten wäre es, ebenfalls eine Leuchtkappe zu tragen, am besten noch eine Glocke. Na fein!
Die nächsten eineinhalb Kilometer sind nicht ganz so beruhigend, denn der Weg geht durchs Dickicht und man hört immer wieder deutlich Hunde in der Nähe. Na gut, wenn der Hund nur nah genug ist, wird schon keiner auf mich schießen.
Ich freue mich deutlich, Rully zu sehen.
Als ich es nicht mehr brauche, weist ein Schild am Wegrand darauf hin, daß Jakobspilger hier unter Umständen gefährlich leben.
Als ich Rully erreiche, wird der Himmel heller. Ein netter Ort!

Nach Rully folgen einige extrem kurzweilige Kilometer durch Weinberge und Buchsbaumhecken. Der Weg schlänglet sich nicht allzu intensiv durch die Landschaft, es geht auch moderat bergauf und bergab. Das ist nicht schnell, macht aber unheimlichen Spaß. Zumal auch immer mal wieder kurz ein wenig mehr Helligkeit durch die Wolken dringt.
Zwichen den Reben sehe ich vermehrt gelbe Blüten, die mich stark an Raps erinnern. Wie ich in meinem Extrem-Kurzrundgang in der Senf-Manufaktur gelernt habe, ist das aber kein Raps. Sondern Senf.
Und auch mein Freund Bacchus läßt mich nicht im Stich. Ich bevorzuge jetzt deutlich Pinot Noir, und der wächst hier reichlich. Lecker! Zumal jetzt nicht mehr geschossen wird!

Die Wegführung hier ist echt liebevoll und kurzweilig, selbst Feldwege werden kunstvoll vermieden.
Das Dickicht gibt es auch als Cabrio, da fühlt es sich ein wenig an wie im botanischen Irrgarten. Es gibt allerdings keine Verzweigungen, der Weg ist absolut eindeutig.

Bei ziemlich genau 10 Kilometern erreiche ich Mercurey.
Auf dem typischen Dorfplatz duckt sich ein altes romanisches Gemäuer.

Jakobsweg Mercurey Kirche Totale

Romanische Pilger-Kirche in Mercurey

Auf der Treppe mache ich Rast. Und sehe eine Tafel, auf der die Jakobspilger-Tradion dieser Kirche beschrieben wird.
Was denn?!? Dieses schmucklose Gemäuer soll eine der ersten festen Wegstationen hier in der Gegend sein?
Aus Neugier gehe ich um das Gebäude herum. Denn nun interessiert mich das Innere der Kirche doch schon ziemlich sehr.
Alle Türen scheinen verschlossen.
Aber über einer Tür (übrigens die im Bild oben sichtbare) ist eine Jakobsmuschel angebracht.
Der Verschluß ist etwas hakelig und – sagen wir es mal so… – gut gegen versehentliches Öffnen im Vorbeigehen gesichert.
Mit ein wenig hin und her öffnet sich die alte Tür doch und läßt mich ins innere der Kirche.
Auch in dieser kleinen Kirche lauern zahlreiche Geschichten. Jede Kirchenbank könnte vermutlich eine lange erzählen, denn in vielen Bänken sind die Namen der dort ansässigen Gemeindemitglieder eingraviert – teilweise über Generationen.
Heiratet man hier aus strategischen Gesichtspunkten nach Rebstöcken und Position in der Kirche?
Ach, ich schweife ab…

Jakobsweg Mercurey Kirche Stempelstelle

Sehr nett gemachte Pilgerecke in der Kirche

An einer der Säulen in der Nähe des regulären Haupteingangs findet sich unter der vor angeblich gut 700 Jahren eingelassenen Jakobsmuschel eine sehr liebevoll gemachte Stempelstelle.
Aus dem Gästebuch erfahre ich, daß die letzten Pilger vor etwa zehn Tagen hier waren. Zumindest die letzten, die nicht einfach an der im Pilgerführer nicht erwähnten Kirche vorbeigetrottet sind.
In der Kirche herrscht absolute Ruhe, und die hat vor einiger Zeit auch jemand sichtlich genossen.
Das spirituelle Erlebnis meines Vorgängers läßt sich fast noch mit Händen greifen…
Die Kirche an sich ist wesentlich heller als ich es von dem geduckten Gemäuer erwartet hätte. Und die Luft ist zwar etwas angestaubt aber nicht muffig. Ein sehr schöner Ort, der im Sommer sicher zum angenehm kühlen Verweilen einlädt.

Mich aber zieht es dann doch weiter, ich schließe die Tür so vorsichtig und sorgfältig wie ich sie zuvor geöffnet habe und komme wieder in die echte Welt.

Jakobsweg Mercurey Herbstlaub an der Mauer

Mal ein wenig rot in den endlosen gelben Weinbergen der letzten Tage!

Bergab geht es weiter, der Weg ist gut ausgeschildert und flüssig zu gehen.
Und das ist auch gut so, denn ich habe ja erst zehn Kilometer auf der Uhr.
Die weitere Strecke läßt sich nur als “abwechslungsreich” beschreiben. Allerdings nicht wegen der Menschenmassen; obwohl ich schon einige Menschen treffe.
Irgendwie werden die Weinberge enger und abwechslungsreicher, nicht mehr so glatt und großflächig.
Eng, teilweise fast wild betten sich die Weinberge in die Landschaft, es wird nicht so sehr um die beste Lage, sondern gegen die umliegende Natur gekämpft.
Hier sitzen (oder saßen) offensichtlich die Verlierer beim Aufbau des regionalen Wein-Kartells…

Kurz drauf ist es an der Zeit, einen letzten Blick zurück auf die Weinberge zu werfen.
Es geht weiter bergauf und rein in den Wald, einfach erst Mal weiter geradeaus bergauf.

Irgendwann stehe ich vor einem Weidezaun. Dahinter recht frische Fladen. Kann man an den Fladen erkennen, ob es Stier, Ochs oder Kuh war?
Von den Bewohnern der Weide ist nichts zu sehen.
Der Weg ist ganz klar über die Weide ausgeschildert, der Pilgerführer erwähnt das auch, vor mir ist ein Gatter.
Na gut, Augen auf und weiter (Ihr wißt ja schon, ich hab’s mit Tieren nicht so…).

Jakobsweg Russily Weideland

Mit etwas weniger Dunst hat man von dieser Weide sicherlich ein herrliches Panorama.

Die Kuppe des Hügels bei etwa 17 Kilometern ist ein radikaler Landschaftswechsel.
Auf etwa mehr als 400 Metern Höhe kommt schon fast ein wenig Alm-Feeling auf.
Naja, sagen wir’s weniger pathetisch: Wald und Weideland wechseln sich pittoresk ab.
Kurz darauf erreiche ich bergab Russily – ohne Lebende auf der Weide getroffen zu haben.
Dafür ist in Russily eine ganze Menge los, denn da sind gerade ein paar Großfamilien unterwegs. Und auch noch weitere Pilger.
Die sind allerdings gerade im Pausen-Modus, und so wechseln wir nur ein paar freundliche Worte bevor ich weiter ziehe.
Es geht weiterhin kräftig bergab, etwa auf halber Höhe verlasse ich – zwischenzeitlich souverän hundeflüsternd – die offizielle Wegweisung (die Besitzerin des Hundes will mich noch davon überzeugen, daß ich gerade falsch abgebogen und daher auf ihren Liebling getroffen wäre), denn das heute gebuchte Quartier liegt ein Stück ab.
In Saint Désert, was schon ein wenig nach “verlassen” klingt.
Außerdem liegt es – so erfuhr ich heute Morgen – etwas außerhalb des Ortes, an der Straße. Ich weiß allerdings nicht, auf welcher Seite des Ortes. Um nicht in der (zweifelsfrei verlassenen) Ortsmitte eine Münze werfen zu müssen, entscheide ich, den Ort einfach im eleganten Suchkreis anzugehen und mich nicht direkt, sondern eben auf der Durchgangsstraße zu nähern.
Das ist ein überschaubarer Umweg, aber die Überquerung der Autobahn am Anschlußknoten ist nur mäßig angenehm.
Zumal die auf dem letzten Bild sichtbaren Wolken einen etwas unfreundlichen Wind brachten.
Und nach dem heute sehr abwechlsungsreichen Weg ist das Laufen auf der Straße plötzlich soooo öde.
Nun gut, bei etwas mehr als 24 Kilometern erreiche ich staunend die “Domaine des Nesvres”, ein beeindruckendes, voll authentisches Gehöft.
Der hüfthohe, kräftig gewachsene, frei laufende Schäferhund stellt micht ebenso authentisch an der Schwelle des offenen Tores.
Ich warte gerne auf die Wirtsfrau, die glücklicherweise auch nicht allzu lange auf sich warten läßt.
Jetzt ist auch der Hund ein ganz lieber und die Dame des Hauses führt mich in mein Gemach, direkt auf der Ecke des Hofes mit direktem Fenster zur angrenzenden Weide.
Auf den ersten Blick sieht es ganz nett aus und ich lasse mich für eine kurze Pause auf’s Bett fallen.
Schon bald kommen die Fliegen um mich zu nerven. Viele. Sehr viele.
Ich versuche, sie durch die Fenster zu verscheuchen, und das klappt auch ganz gut.
Das leicht jungsteinzeitlich anmutende Bad bietet immerhin – nach etwas Geduld, denn die Leitungen sind lang und die Mauern dick – eine warme Dusche. Allerdings fühle ich mich durch die zahlreichen Spinnen schon etwas beobachtet. Naja, die kümmern sich dann wenigstens um die Fliegen…

Das Abendessen ist allerdings dann der absolute Knaller:
Ich werde mit den weiteren Gästen (ein englischer Tierarzt mit seiner Frau auf der Durchreise von seinem Ferienhaus in Chamonix) an den offenen Kamin zum Apéritiv gebeten, es werden kleine Canapées gereicht. Abendsprache ist heute Englisch.
Eine nette Runde, die Leute allesamt sehr weit und häufig gereist.
Auf der anderen Seite des beidseitig offenen Kamins wird dann zur Abentafel gebeten.
Es gibt ein nettes Süppchen, Bressehuhn mit Kartoffelgratin, ein Stück Kuchen, Käse, Kaffee und zu allem reichlich einen…Pinot Noir (!!) aus der Region. Und als die Flasche leer ist auch noch einen. Der Hausherr erzählt mir, daß er den Wein nicht nach dem Etikett kauft, sondern die Weinbauern der Nebenlagen kennt und weiß, wer dort in dem Jahr einen guten Roten zu Stande gebracht hat.
Die Runde dauert ein wenig länger, aber ist extrem unterhaltsam.

Zwar gibt es im Ort auch einen Orden, aber die nehmen wohl über Nacht nur Frauen auf.
Und bewirten die wahrscheinlich etwas bescheidener.

So ist es schon recht spät als ich ins Bett komme, und die Fliegen schlafen schon lange.
Ich folge ihnen schnell und pappsatt…

Fazit des Tages:
Wieder eine sehr kurzweilige Etappe in einer völlig veränderten Landschaft.
Durch das etwas unfreundlichere Wetter war’s zwischendurch auch mal nicht ganz so angenehm. Aber nun gut, es ist Ende Oktober!
Die Beine und Füße sind in Ordnung, es hätte etwas mehr sein dürfen. Wenn da nicht wieder mal das Problem mit der Unterkunft gewesen wäre.
Aber…wie’s auf dem Weg so ist…es hat sich mal wieder alles gut gefügt!

5 Replies to “25.Tag: Chagny – Saint Désert”

  1. Barbara

    Mir wurde gesagt, Mittwoch und Sonntag sind Jagdtage
    Vielleicht kann man das berücksichtigen oder einplanen…

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    • Frank Author des Beitrags

      Hallo Barbara.
      Mag sein. Das ist sicher von Landkreis zu Landkreis verschieden. In Tarsul sagte man mir freitags, ich hätte Glück, am Samstag ginge es los; zwischen Chagny und Saint Desert war ich in der Tat mittwochs unterwegs. Aber die Jagdhunde mit den Glocken habe ich auch an anderen Tagen gesehen und gehört.
      In manchen Landkreisen kommen wohl Jäger aus ganz Europa zusammen (Hab’ ich als Wohnmobil-Burg zwischen Tarsul und Dijon gesehen.). Da ist es wahrscheinlich besser, weit weg zu sein, wenn die loslegen.

      Antwort
  2. Irena

    Hallo,
    ich werde am 1. oktober von Dijon nach Le Puy gehen.. aber die jagdsaison in diesem gebiet macht mir ein bisschen angst… muss ich mich auf irgendetwas extra vorbereiten oder reicht es, ein testament zu schreiben?
    Irena

    Antwort
    • Frank Author des Beitrags

      Hallo Irena,
      So lustig das in den Berichten retrospektiv klingt…
      Mit der Jagdsaison wäre ich in der Gegend echt etwas vorsichtig. Zumal die da ja auch ein recht entspanntes Verhältnis zu freilaufenden Hunden haben.
      Wir waren teilweise ungelogen mit der Bärenglocke und dem bunten Kopftuch unterwegs.
      Das ist aber auch mitunter ein Thema in Sachen Zimmer. Denn die Jäger, die teils bis aus Österreich / Tschechei anreisen, wollen ja auch irgendwo schlafen.
      Je wilder der Weg, desto wilder natürlich auch die Jagd. Insofern ist das in den Weinbergen recht easy.
      Und ab Le Puy sowieso, da ist dann ja recht viel los.
      Also: Bärenglocke, bunte Mütze, Gottvertrauen. Und vor allem: Morgens fragen, ob irgendwo Jagd ist. Dann laut singen und nicht vom Weg abweichen!

      Antwort
      • Strosin

        Danke Frank ….es hat mich überhaupt nicht beruhigt, ganz im Gegenteil…aber was soll ‘s🤷…Tod..durch die Hand eines Franzosen..ehrenhafte Sache 🙂😅

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