2.Tag: Hochheim – Ober-Ingelheim

Samstag, 18. Oktober 2014
Strecke: 36,5km – Gesamt: 80,3km
Gehzeit: 9:00 brutto / 7:15 netto

Der Wecker klingelt zu einer für einen Urlaubstag absolut unflätigen Zeit – 6:45. Ich glaube, ich erwähnte es gestern bereits.
Erstaunt rappele ich mich hoch und stehe auf. Ich hatte mit ganz großen Schmerzen gerechnet.
Bin ich vielleicht über Nacht verstorben ohne es mitzubekommen?
Jedenfalls tut nix weh, und das ist gut.
Das Frühstück ist unspektakulär. Es reicht, um die Brotdose mit Tagesproviant zu füllen.
Weil ich’s heute nicht so übertreiben will wie gestern, lasse ich mir etwas Zeit.
Zudem habe ich ja noch keine tägliche Routine, auf die ich als blutiger (leider im Falle der Fersenblase wörtlich) Anfänger zurückgreifen könnte.
Um halb Neun stehe ich auf der Straße und starte die Elektrik.
Weil die Wettervorhersage zwar gut, der Nebel aber noch dicht ist, spare ich mir den Rundgang zu möglichen Panoramapunkten, sondern orientiere mich geradewegs Richtung westlichem Orstsrand und von dort durch die Weingärten zügig abwärts Richtung Fluß.
In den Weingärten könnte eine herrliche Aussicht über das Maintal locken, aber stattdessen drückt der Nebel den Geruch nach zum Düngen abgekippten Trester und essigsauren Trauben durch die Felder – denn in der Region gab’s dieses Jahr Probleme mit einem Schädling, so daß ein Teil der Trauben gar nicht erst geerntet wurde.
Ich erreiche und unterquere erst die Autobahn (A671) und dann zwei Bahnlinien und schon bald bin ich wieder auf dem Flutdeich, dem der Jakobsweg flußabwärts bis Kostheim folgt.
Der Weg zwängt sich zwischen Uferdickicht und Umzäunung der traditionsreichen Papierfabrik in Richtung Kostheim – den Aussichtspunkt spare ich mir mangels Aussicht auf Aussicht.
Kurz drauf würde der Weg durch eine wunderschöne Kastanienallee am Fluß entlang zur Mündung des Mains in den Rhein geführt.
Aber die ist gesperrt und eingezäunt weil sie demnächst komplett abgeholzt werden soll. Der Widerstand äußert sich am Zaun rege, ich erkenne aber noch keine auf den Bäumen hausenden oder daran festgeketteten Aktivisten. (An dieser Stelle habe ich es in Gedanken versunken leider voll verpennt, diese einzigartig morbide neblige Stimmung fotografisch einzufangen.)
Ich erreiche den Rhein und erkenne einen Teil der Silhouette von Mainz. Nicht fern aber trozdem kaum zu erkennen.
Der gut ausgebaute Uferweg bring mich zügig an die Straßenbrücke, die mich von Kastel Richtung Innenstadt läßt.
Am Ufer ist Flohmarkt, und so verlasse ich den vorgesehenen Weg, um mich durch den Betrieb des Samstagvormittags in Richtung Dom zu orientieren.
Den erreiche ich am Markttag. Immerhin ist er im Dunst aus der Nähe klar zu erkennen. Und glücklicherweise kaum eingerüstet.

So sieht also ein Pilgerstempel aus!

So sieht also ein Pilgerstempel aus!

Leicht erreiche ich durch das Marktgeschehen das Dom-Büro.
Dort werde ich mit der Frage “Jakobus oder Bonifatius?” begrüßt und erhalte meinen ersten Stempel.
Ich bin heute mit dem Vorsatz unterwegs, es etwas langsamer angehen zu lassen. Also nehme ich mir – wenn ich denn nun schon mal da bin – auch die Zeit für eine kurze Dombesichtigung.
Es empfängt mich eine an diesem Tag ziemlich düstere, traditionsreiche Kirche.
In aller Ruhe kann ich auch einen Blick in den Kreuzgang werfen – im Sommer sicher ein herrlicher Ort.

Ich verlasse den Dom und setze meinen Weg fort.
Der ist zunächst sehr sorgfältig ausgeschildert, irgendwo in der Altstadt biege ich nochmal falsch ab.
Überraschend ruhig geht es nach und nach aus Mainz heraus.
Am Ende des Hauptfriedhofs verlasse ich den GPS-Track, denn der hier vorgesehene Schlenker scheint mir nicht attraktiv – außerdem folge ich der in Mainz an sich sehr guten und konsistenten Wegweisung.
In Gonsenheim erreiche ich einen Bach, dem der Weg folgt und finde einen Garten mit einer sehr einladenden Bank zum Rasten. Das Gartentor ist offen und der Eigentümer von Garten und Bank ein rechter Spaßvogel.
Trotzdem verschwätze ich mich nicht zu sehr, sondern setze meinen Weg recht bald fort.
Nach Gonsenheim geht es in den Wald.
Zwar kein toller Urwald, sondern ein von Joggern, Reitern, Spaziergängern und allen anderen Gattungen Naherholender rege frequentierter, schnell wachsender Kulturwald.
Aber immerhin mal etwas Grün!
Es geht ziemlich geradeaus nach Budenheim.
Der Ort begrüßt mich mit Dokumentationsschildern zu seiner historischen Bedeutung am Jakobsweg, inklusive Adresse der Stempelstelle.
Die Kirchengemeinde dort weiß zwar von ihrem Glück, aber keiner weiß so recht, wo der Stempel ist…
Kurz vor dem Ortsausgang gibt es wieder eine Differenz zwischen der Wegweisung und meinem GPS-Track. Ich folge der Wegweisung, denn der Rhein verspricht an dieser Stelle keine außergewöhnliche Schönheit.
Schon bald bin ich wieder auf der Dammkrone unterwegs, das landschaftliche Spektakel hält sich in Grenzen. Immerhin ist das Wetter zwischenzeitlich etwas aufgehellt.
Im Trott verpasse ich den Abzweig nach Heidesheim, aber mein GPS weckt mich nach kurzer Zeit.
Ich treidele durch den Ort, finde die Eisenbahn-Unterführung (ich muß bei dem Ort ein wenig an “Asterix und der große Graben” denken) und bin schon bald leicht bergan in den Feldern Richtung Ingelheim.
Ich wollte es ja heute nicht überreizen, also soll das das Tagesziel werden.
Beim Blick den Berg hinab nach Ingelheim lockt der Ort eher nicht. So folge ich dem Weg weiter Richtung Ober-Ingelheim und vertraue darauf, daß ich dort eine Unterkunft finden werde.
Dieses Vertrauen wird stark strapaziert, wie der im Track sicherlich gut sichtbare Suchkreis präzise dokumentiert.
Ich finde ein traumhaftes Zimmer in einem Weingut, und heute schaffe ich es sogar ohne Festhalten die Treppen hoch.
Das Auspacken der Füße taugt nicht gerade zur leckeren Vorspeise. Die Blasen sind nicht kleiner geworden, es sind sogar noch ein paar niedliche an den kleinen Fußzehen dazu gekommen. Was soll das?!? Mit dem Fabrikat Socken habe ich blasenfrei für zig Marathons trainiert!
Ich gräme mich nicht weiter, denn kleine Fußzehen können ja auch nur ein klein wenig schmerzen…

Gestern war griechisch, also ist heute der Italiener vor Ort dran, und das ist ein echter Glückstreffer.
Denn der Deutsche Meister im Pizzabacken kommt aus …Trommelwirbel… Ober-Ingelheim.
Der Laden ist extrem produktiv organisiert und brummt ohne Ende. Maestro macht aber nicht die Honeurs, sondern schuftet am Ofen wie ein Besessener.
Extrem leckere Sache und der Ausklang eines etwas gemäßigteren Tages.
Dennoch wollen auch die etwas weiteren Turnschuhe nicht so recht passen. Ich will weiter, meine Füße eher nicht.

Fazit des zweiten Tages:
Na also, geht doch! Man kann auch ohne größere Gewalt ganz gut vorankommen! Was so etwa Zehn Prozent weniger Tempo gefühlt an Belastungsempfinden ausmachen!
Ich habe heute den Preis für gestern gezahlt, bin aber dennoch ganz glimpflich davongekommen.
So langsam macht sich im Hirn etwas Ruhe breit – in etwa in dem Maße, in dem der Ballungsraum aus dem Bewußtsein verschwindet.
Fein!
Die Fruchtfliegen des Weinguts bemerke ich nur noch am Rande, schon bald umfängt mein Bewußtsein rabenschwarze Nacht…

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