17.Tag: Contrexéville – Bourbonne-les-Bains

Montag, 12. Oktober 2015
Strecke: 40,8km – Etappe: 40,8km – Gesamt: 555,1km
Gehzeit: 8:45 brutto / 7:30 netto

Ich weiß über die ersten Tage vor allem Eines: Sie werden relativ lang. Ohne Möglichkeit, irgendwo abzukürzen oder vorher Quartier zu machen.
Also klingelt der Wecker natürlich früh, und in der ersten Morgensonne stehe ich nach einem ganz ordentlichen Frühstück ausgeschlafen und mit juckenden Füßen in der verlassenen Stadt. Der Weg steigt aus der Stadt heraus zunächst zügig an und schon nach wenigen Minuten habe ich die letzten Häuser hinter mir. Es empfängt mich eine leicht neblige, herbstlich-ländliche Stimmung.

Sanft geht es weiter auf den Hügel, die Sonne kämpft mit den letzten Nebelschwaden und der Feuchte der Nacht.
Nach etwa 1,5km habe ich den Eindruck, ein ganzes Stück vor mir einen Schatten mit Rucksack auf dem Weg zu sehen. Aber nur kurz, denn er biegt um die nächste Ecke. Als ich die erreiche, ist er natürlich weg.
Ich genieße die Morgenstimmung in der Sonne ebenso wie die Rinder auf den Weiden jenseits der Straße, die lautstark Ihren Bauern begrüßen.

Jakobsweg Dombrot le Sec Panorama

Blick zurück nach Dombrot-le-Sec

Nach etwa 5km erreiche ich Dombrot-le-Sec, eine Ortschaft fast kürzer als ihr Name. Der Weg ist gut ausgeschildert, und selbst wenn er es nicht wäre, wäre das navigatorisch durchaus zu bewältigen.
Kurz nach dem Ort biege ich ab auf die ehemalige Römerstraße, und siehe da:
Der Schatten im Morgennebel war tatsächlich keine Täuschung. Ein ganzes Stück vor mir ist offensichtlich ein weiterer Wanderer unterwegs.
Unglaublich. Das ist der erste, den ich auf meinem Weg in gleicher Richtung treffe. Und weil meine Füße am ersten Tag wie immer noch etwas zu schnell und ungeduldig sind, hole ich unaufhaltsam auf.
Diese Situation stellt mich (nach etwas mehr als 500km auf meinem Weg) vor die grundsätzliche Frage, wie man überhaupt mit Menschen umgehen könnte, die man unterwegs tagsüber trifft. Ist ja schließlich der erste.
Als er einen unüberlegten Biß in sein Baguette wagt, habe ich ihn eingeholt…

Jakobsweg Römerstrasse bei Marey

Geradeaus, wie Römerstraße eben so ist…

Schnell kommen wir ins Gespräch. Karl kommt aus Hamburg und ist seit Jahren abschnittsweise Richtung Santiago unterwegs. Diesmal seit Metz.
Netter Kerl mit einer interessanten Geschichte. Ich nehme das zum Anlaß, meine ungeduldigen Füße auf ein vernünftiges Tempo zu mäßigen.
Die elf Kilometer ehemaliger Römerstraße vergehen im Sonnenschein flugs.
Karl navigiert technologisch etwas anders als ich, aber hier gibt es zunächst nicht viel zu navigieren. Selbst als wir bei Kilometer 18 die Römerstraße verlassen und auf einer Landstraße weiter sollen, sprechen der Pilgerführer und die Beschilderung vor Ort eine klare Sprache.
Bald erreichen wir Aureil-Maison, das die Hoffnung auf einen Café au lait beim Abbiegen im Ortszentrum zu Nichte macht. Nein, um die Ecke gibt es auch nichts.
Wir verlassen den Ort – immerhin nicht mehr auf der Römerstraße – durch eine kurzweilige landwirtschaftliche Gegend.

Schon bald erreichen wir bei Kilometer 23 den Wald und es geht kräftig bergauf.
Karls Navigation ist etwas unsicher, meine auch. Bei Kilometer 27,5 steht endgültig fest, daß wir auf dem falschen Weg sind.
Aber durch kurzen Dialog und beherzten Weg entlang einer Wirtschaftsschneise können wir den halben Kilometer Differenz sehr effizient korrigieren. Das war wahrscheinlich sogar gut so, denn der Pilgerführer hatte vor dem matschigen Waldweg gewarnt, den wir nun verpasst haben.
Naja, man muß sich ja vielleicht auch nicht gerade gleich am ersten Tag die Schuhe dreckig machen!
Wir erreichen den geplanten Weg gerade rechtzeitig wieder um den äußerst spektakulär mit einem Holzpfahl markierten Übergang zwischen Vosges und Haute-Marne zu passieren. Da sieht der Wald doch gleich ganz anders aus.
Das war ein paßgenaues Stück entschlossener Navigation genau an der richtigen Stelle!
Bei Kilometer 32,5 zeichnet sich mit einer Lichtung ein Ende des ausgedehnten Waldes ab.

Wir erreichen den Rand von Serqueux und halten uns sofort wieder Richtung Ortsausgang um nicht von der allzu üppigen Infrastruktur dieser Metropole verführt zu werden. Am Ortsausgang wird es nochmal richtig kurzweilig, denn eine Eselsfamilie empfängt uns gloppierend und vor Freude springend.
Die folgenden Felder sind ansonsten aber eher ruhig.
Der Weg schlängelt sich Richtung Etappenziel.

Und schon bald erreichen wir Bourbonne-les-Bains.
Die Kurstadt empfängt uns mit den Zeichen von Landflucht. Gefühlt jedes fünfte Haus steht zum Verkauf.
Wir eckeln ein wenig durch die Gassen, bis wir die Mairie finden.
Dort gibt es einen Stempel und einen Tipp für ein günstiges Hotel etwas stadtauswärts.
Die zwischendurch passierte Ladenstraße hinterläßt bei uns hinsichtlich der Verpflegung keine Bedenken und das empfohlene Hotel ist erschwinglich und in Ordnung.

Für mich war der erste Tag nun ein eher langer, Karl ist auch eher “sediert”. So nehmen wir das Angebot des Wirtes gerne an, uns für einen gedämpften Preis ein “Pilgermenü” anzubieten. Dreieinhalb Gänge, Wein, gute Nacht!
Vor dem Ende des Abends verständigen wir uns noch auf die Etappe des nächsten Tages, planen eine leichte Abkürzung gegenüber der vorgesehenen Route.

Fazit des ersten Tages:
Es gibt tatsächlich noch andere Menschen auf dem Jakobsweg. Faszinierend!
Das Treffen mit Karl verhindert, daß ich am ersten Tag durch dauerhaft zu hohes Tempo meine Kräfte verzehre.
Die Etappe war lang, aber entgegen den intensiven Warnungen im Pilgerführer schon gut zu schaffen.
Außer einem ernsthaften Aufstieg und einem Abstieg gegen Ende war da nichts außerordentlich kräftezehrendes dabei.
Eine gute Einstimmung auf die nächsten Tage, die wahrscheinlich auch nicht wesentlich kürzer werden dürften.

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