Donnerstag, 22. Oktober 2015
Strecke: 31,6km – Etappe: 323,8km – Gesamt: 838,1km
Gehzeit: 8:30 brutto / 6:15 netto
Die Fliegen lassen mich schlafen. Sogar noch nach der Morgendämmerung.
So komme ich mit dem Wecker aus dem Bett und erscheine pümktlich zum vereinbarten Frühstück.
Das Wetter ist nur mäßig attraktiv, und so verschwätzt sich die gemütliche Runde wieder ein wenig.
Eigentlich wollte ich heute ein wenig früher los, denn die Unterkunftslage für heute war eher dürftig und ich durfte die Etappe nicht nur ein wenig länger, sondern auch auf einer alternativen Strecke planen.
Um kurz nach halb neun komme ich buchstäblich auf die Straße, natürlich nicht, ohne noch ein paar Bilder des netten Anwesens gemacht zu haben.
Auf den Bildern sieht’s etwas reinlicher aus als im echten Leben…
Die ersten vier Kilometer geht es einfach entlang der Straße wieder zurück zum ausgeschilderten Weg. Relativ konstant bergauf.
Das Wetter drückt auch ein wenig auf die Stimmung. Nun gut. Auch hier gibt’s Herbst. So weit südlich bin ich wohl doch noch nicht.
Insgesamt scheint mir das Mikroklima hier auf der Etappe etwas rauher.
Und so ist der Wald dann auch nicht aus Buchsbaum, sondern aus den eher etwas robusteren Gehölzen wie Eiche und (Eß-)Kastanie.
Aber es gibt hier und da noch ein paar nette Aussichten auf Weinberge, allerdings wird die Landschaft “knubbeliger” mit vielen kleinen Wellen und Hügeln.
Schon bald entscheidet der Himmel, für eine ganze Weile eine neue Version von Regen zu schicken:
Nebligen Sprühregen, ganz an der Grenze zur Wahrnehmung.
Lange Zeit läßt der sich sehr komfortabel ignorieren, denn ich laufe einfach nicht gerne in der Regenhose.
Nach und nach gibt es ein paar Weiden, und eine davon ist tatsächlich mal von ein paar neugierigen Vierbeinern belegt.
Zwischendurch gibt es an den Südhängen auch wieder etwas grün (und Buchsbäume).
Aber die Feuchtigkeit beginnt doch langsam, alles etwas klamm zu machen.
Das Wetter wird weiter trübe, und das ist schade, denn der eine oder andere Hügelrücken wäre sicher gut für einige Fernblicke in die bunte Herbstlandschaft.
Ich komme recht gut voran, denn die Pausen sind heute nicht sonderlich lang. Hier gibt’s mal wieder nix zum Hinsetzen!
Ab etwa Kilometer 14 beginnt der Weg, vom Hügelrücken abzusteigen.
Kurz höre und rieche ich deutlich Wildschweine, ziemlich in der Nähe. Die scheinen sich sogar über mich zu unterhalten.
Aber die sind nun zur Jagdsaison glücklicherweise scheu.
Denn wenn man die Sau Grunzen und schnaufen hört, ist man ja eigentlich normalerweise schon etwas zu nah dran…
Ich komme aus dem Wald und nähere mich Saint-Gengoux-le-National, nicht ohne an einem der malerisch in der Landschaft liegenden Einsiedlerhöfe noch einen mittleren Herzstecker zu kriegen. Irgendwie wußte ich, daß die garantiert einen Hund haben.
Und so bin ich nicht erschrocken als er plötzlich aus der Ecke geschossen kam. Aber ich hab’ wohl die richtige Seite des Weges gewählt und so komme ich zügig aus seinem Intimbereich, bevor er sich’s doch noch überlegt. Da hat jetzt aber wieder mal nicht viel gefehlt…
Kurz drauf werde ich noch mit einer netten Aussicht für meinen Heldenmut belohnt bevor es nach Saint-Gengoux-le-National geht.
Der Jakobsweg wird offiziell am Stadtrand entlang um Saint-Gengoux-Le-National herumgeführt.
Aber ich wäre jetzt eigentlich gerade so weit, daß ich eine kleine Stärkung gegen Vorlage kleiner Münzen und eine Runde Aufwärmen gebrauchen könnte.
Außerdem macht der Außenrand der Stadt auch sehr neugierig auf das, was dahinter liegen mag.
Die Stadt ist eng und spielt mit ihren entvölkerten Straßen im Nieselregen ihren morbiden Charme voll aus. Ich orientiere mich in die Richtung, in der ich eine größere Straße mit üppiger Infrastruktur vermute.
Es dauert ein Stück, bis sich der Verdacht bestätigen kann.
Die Stadt taugt zur ungeschminkten Filmkulisse.
Im Altstadtkern sind die Türen jedoch zu, ich werde tatsächlich erst auf der Hauptstrßae fündig.
Nicht sonderlich nett, aber warm.
Nach der Kaffeepause sagt mir irgendetwas, noch einen kleinen Schlenker durch die Altstadt zu machen.
Die Straßen sind mit Wimpeln geschmückt, und als ich an der sehr eigenwilligen Kirche vorbeikomme, höre ich von drinnen Musik.
Ich gehe an die Tür und lausche einen Moment. Nein, das ist kein Gottesdienst, der da tönt.
Also öffne ich vorischtig die Tür und trete ein.
Die Musik umfängt mich wie eine weiche, um die Schultern gelegte Decke…
Ich schaue mich, von der Musik begleitet, noch ein wenig in der Kirche um. Die bietet einen bunten Stilmix.
Schweren Herzens trenne ich mich von der Kirche und der Musik, zumal die Flötistin – sagen kann sie ja nix so lange sie flötet – durch meine Anwesenheit doch ein wenig gestört wirkt.
Im Tourismusbüro bekomme ich noch einen Stempel, und dann mache ich mich aus dem Ort heraus wieder auf den Weg.
Weil mein Übernachtungsziel aber nicht direkt auf dem Weg liegt, sondern ein paar Kilometer östlich davon, nehme ich ab Saint-Gengoux-le-National den Radweg, der die letzten zehn Kilometer auf der Trasse einer alten Eisenbahnlinie ziemlich geradeaus nach Cormatin geht.
Gefühlt zumindest.
Der Radweg ist benutzt, auch heute, aber nicht allzu rege.
Die Bahntrasse liegt über lange Strecken leicht unterhalb der umgebenden Landschaft, so daß rechts und links nur die Böschung zu sehen ist.
Aber auch, wenn sie mal etwas erhaben liegt, viel zu sehen ist durch den dichten Bewuchs nicht.
Dennoch läßt sich hie und da erahnen, daß sich die Landschaft wieder etwas verändert hat.
Saftig, feuchtes Weideland.
Wenn ich mir’s so recht überlege, hat die Landschaft etwas von Modellbahn.
Und als dann auch noch eine Stahlbrücke zur Überquerung eines Flüßchens kommt, wird das Idyll nahezu perfekt.
Ich trabe weiter, flach geradeaus, leicht in Trance geratend, denn auf dem Asphalt und mit den grünen Böschungen ist jeder Schritt gleich.
Alle Viertelstunde denke ich mir “Mann, der Ort muß doch jetzt bald mal kommen!”. Tut er aber nicht.
Bis es dann – fast schon überraschend plötzlich – nach links abgabelt.
Der Weg nach Cormatin zeigt klar, daß man mit der Moderne hier recht behutsam umgeht. Und weil ich nach dem Geradeaus-Trotten recht gut in der Zeit liege, kaspere ich ein paar Minuten mit dem Selbstauslöser herum.
Cormatin ist nicht groß, aber recht nett. Eine interessante Mischung aus Straßendorf an der Schnellstraße und historischem Ort.
Der Dorfplatz, an dem auch das Hotel liegt, ist klassisch französisch gehalten, allerdings mit einem netten Detail.
Am Tagesziel erwartet mich, was auch der Ort ist, nämlich eine wilde Mischung aus Moderne und Renaissance, gemischt mit etwas Bauhaus.
Aber soll mir recht sein. Das Wasser ist warm, das Bett weich, und ein Restaurant gibt es auch gleich im Haus.
Das macht die Wahl mal wieder einfach, wenngleich man mir klar zu verstehen gibt, ich solle es ja nicht wagen, nach 7 Uhr zum Essen zu erscheinen, schließlich hätte man ja auch ein Leben. Der Andrang zum Abendessen hält sich dann aber doch in sehr überschaubaren Grenzen.
Und wieder mal wird es ziemlich schnell Nacht um mich herum…
Fazit des Tages:
Herrlich abwechslungsreiche Etappe mit ein paar Kilometern zum Durchbeißen am Ende, im Sommer sicher der absolute Knaller.
Jetzt, im warmen Spätherbst trotz teilweise etwas isseligen Wetters immer noch sehr, sehr schön.
Und mal wieder sehr ruhig und einsam; das hatte ich südlich von Dijon eigentlich nicht erwartet.
Der Unterschenkel hat sich solala mit dem Antibiotikum und der Belastung arrangiert, aber ewig geht das so nicht mehr weiter.
Das ist so auch in Ordnung, denn morgen ist der letzte Tag der Etappe, und da gibt’s nur noch ein paar Kilometer.
Ach ja: Wenn Ihr in Cormatin Quartier macht, schaut Euch auf jeden Fall auch die Herberge mit angeschlossener Manufaktur an. Das sah netter aus als das Hotel (aber da hatte ich nunmal reserviert).