Heimreise Herst 2016

Jetzt will ich aber auch heim!
Donnerstag, 20. Oktober 2016

Der Wecker klingelt gemäßigt früh, denn die Wirtsleute haben ein Lokal zu betreiben und von daher tagsüber schon auch Einiges zu erledigen. Also sollen wir gefälligst auch früh aufstehen.Beim Frühstück verquatschen wir uns dann allerdings völlig unerwartet ein wenig: Die Gastgeber sind doch nicht so knurrig, wie sie sich bislang gaben. Stolz erzählen sie uns von Ihren Fernreisen, 78 Länder hätten sie schon bereist, aber die nächste Zeit würde etwas turbulent, die Kinder hätten sich angesagt. Denn die würden die Zimmer, in denen sie während der Sommermonate die Pilger unterbringen würden, ansonsten gerne nutzen.
Es siegt dennoch das Pflichtgefühl, und so wird der Tisch doch recht bald abgedeckt…

Irgendwie fehlt dieser Reise der Endpunkt, und so streichen wir noch ein wenig durch die morgendiche Stadt.

Bergauf finden wir einen zwischen Luftschutz-Sirenen arrangierten Kreuzigungshügel mit ganz nettem Panorama auf den möglichen weiteren Weg. Wir orientieren uns, wo der Bahnhof – oder besser Busbahnhof – sein mag und wie wir durch das Gewirr der Gassen dorthin kommen werden, da bleibt unser Blick an einer Kirche hängen.
Das sieht richtungsmäßig nicht nach einem großen Umweg aus, also nichts wie hin!
Und Notre-Dame-d’esperance stellt sich als genau der Endpunkt heraus, den wir gesucht hatten. Es empfängt uns eine recht große, helle Kirche, die recht frei zugänglich ist.

Und so finde ich den Punkt und die Aussicht, mit der die Reise das nächste Mal weiter gehen soll.

Der Blick auf die Uhr sagt, daß wir jetzt weiter gehen müssen weil sonst heute nur noch wenig weiter geht! Die Verbindung nach Lyon ist zwar dem Fahrplan nach recht flüssig aber tendenziell nur mäßîg häufig.
Wir erreichen den Bus, der uns über Saint Romain (ja, da hätte man hinlaufen können) nach Saint-Etienne bringt. Von dort bringt uns der Zug gut getaktet nach Lyon Part-Dieu.
Dort ausgestiegen, wundere ich mich etwas. Ich lebte in der Wahrnehmung, für die letzte Nacht in Hotel in der Nähe des Bahnhofs gewählt zu haben.
Habe ich auch. Allerdings in der Nähe eines anderen Bahnhofs (Perrache). Nun gut, ist nicht weit zu laufen.

Die Stadt zeigt sich an diesem Tag allerdings von einer Seite, die mir nicht direkt Lust auf Sightseeing macht:
Frankreich ist im Ausnahmezustand. Das Militär bewacht die Stadt. In seiner extrem martialischen Präsenz kümmert es sich jedoch nur um die Staatsfeinde. Der Drogenhandel hat um den Bahnhof herum freie Bahn und zieht entsprechende Marktteilnehmer an.
Wesentlich mehr schockiert micht jedoch das unverhoffte Zusammentreffen mit Kinderprostitution. Es dauert einen Moment, bevor ich verstehe, was ich gerade inmitten einer belebten Stadt mit Militär an jeder Ecke sehe. Als der Groschen bei mir fällt, fällt er wohl auch beim zugehörigen Zuhälter, und wir machen, daß wir wegkommen.
Wir erreichen das Hotel recht problemlos, erleichtern uns um unser Gepäck und machen uns in die Richtung auf, in der wir die Altstadt von Lyon vermuten. Auf dem Berg darüber thront eine Kirche, deren Vorplatz beste Aussicht verspricht.
Die Altstadt ist wirklich nett aber recht voll.

Wir schlängeln uns durch die engen Gassen dem Gefühl nach in Richtung der Aussichtsplattform den Berg hoch, zuletzt durch einen Park. An dessen oberem Ende erreichen wir sozusagen den Keller der Kirche und treten nichtsahnend – später mehr dazu – von dort in das Gotteshaus ein, nachdem die eher unspektakuläre Tür überraschend nicht verschlossen ist. Denn der weitere Weg nach oben auf die Panorama-Terrasse ist durch einen Bauzaun versperrt.
Was nun folgt, ist eine Überraschung:
Das Untergeschoss ist so groß wie die Kirche selber, fast vollständig begehbar und in zahllos scheinenden Apsiden findet sich eine Sammlung von Marienbildern aus aller Welt.

Staunend drehen wir eine Runde. Spritualität oder Religiosität lassen sich hier kaum erfühlen, aber die kunsthandwerkliche Diversität ist faszinierend. Die Kirche selbst ist in ihrem Keller poliert, ein wenig protzig aber doch eher kühl gestaltet. Hier hat man das Tragwerk des Kellers statisch optimal gestaltet und nachher eben mit Marmor vertäfelt, hie und da noch ein Mosaik eingefügt.
An einer Seite führt eine Treppe nach oben, und dort trauen wir unseren Augen kaum: Goldglanz, wohin der Blick auch zu flüchten versucht. Großflächige Mosaiken, aber im Grunde Gold, Gold, Gold, völlig überladen!

In der Kirche lernen wir noch, warum sie seinerzeit gestiftet wurde: Aus Angst vor den im deutsch-französischen Krieg herannahenden deutschen Truppen.
Wir verlassen die Kirche durch den Haupteingang, wobei wir noch ein amüsantes Detail erfahren: In der Kirche gibt es eine heilige Tür, die aus Anlass des vom Papst proklamierten Jahres der Barmherzigkeit geöffnet wurde. Es handelt sich dabei um eben jede Tür im Tiefparterre, durch die wir das Gotteshaus betreten haben. Wirken heilige Türen auch, wenn man in die falsche Richtung durch läuft? Ist die Richtung überhaupt wichtig? Droht uns jetzt größere seelische Pein?

Wir schauen uns auf dem Plateau noch ein wenig um und genießen die Sonne, bevor wir wieder in die Stadt absteigen und uns im Hotel mental und organisatorisch auf das Abendessen vorbereiten.

Das gibt es in der Nähe des Bahnhofs Perrache in der Brasserie Georges. Der Fußweg dorthin ist nicht weit und bei intensiver militärischer Bewachung auch nicht übermäßig gruselig.
Die Brasserie Georges ist nicht zu vergleichen mit den kleinen Bewirtungsbetrieben, die man üblicherweise mit dieser Kategorie verbindet. Es handelt sich eher um eine Bahnhofshalle mit sicher um die 150 Tischen, an denen straff organisiert im Expresstempo bis zu 3.245(!) Gedecke pro Abend serviert werden. Mit eigenem Bier.
Die Preisstellung ist selbstbewußt aber nicht übertrieben, das Tartar wird frisch am Tisch angemacht und läßt in Menge und Qualität keine Wünsche offen.
Am nächsten Tag gibt es nicht mehr viel zu tun. Kurz eine Rolle Folie zum Verpacken des Rucksacks kaufen und dann einfach ab zum Flughafen (Hurra, Hauptbahnhof!) und heim.
Das geht mit etwas Glück und knapp gut:
In Frankreich ist Ausnahmezustand und entsprechend routiniert reagiert die Flughafen-Organisation auf ein herrenloses Gepäckstück im öffentlichen Bereich. Ich bin zum Zeitpunkt des Alarms bereits in der Nähe des Gate und werde nicht aus dem Gebäude gewiesen, sondern der Flug wird mit den eingetroffenen Passagieren in aller Ruhe abgefertigt. Die Sperrung des Terminals dauert nicht lange, aber lange genug um den letzten Kaffee in Frankreich nicht bekommen zu können.

Jakobsweg Frankfurt Flughafen Gepäckroulette

Der Begriff “sein Gepäck aufgeben” kam mir schon immer etwas seltsam vor…

In Frankfurt habe ich kurz Zweifel, ob ich auch bei der Gepäckabfertigung Glück hatte.
Hatte ich aber, der Rucksack kommt unbeschädigt und pünktlich vom Band.
Eine gute Stunde später bin ich wieder daheim und beginne, die Leckereien des Abschnitts in der Waschmaschine für die nächste Etappe zu reinigen.
Wann es weitergehen wird?
Ich weiß es noch nicht genau, hoffentlich bald!
Daß es weitergeht, steht außer Frage…

Ultreia!

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