Steinberg – Blankenau

Samstag, 19. August 2017
Strecke: 36,9km – Etappe: 58,4m – Gesamt: 58,4km
Gehzeit: 8:45 brutto / 7:15 netto

Das Motto des heutigen Tages ist “Over the Hills and far away“. Also geht’s bei Zeiten los. Ein kleines Wunder hat über Nacht die feuchten Klamotten getrocknet.

Beim Frühstück um viertel nach sieben verquatsche ich mich ein wenig, denn der Gastwirt kannte meinen Großvater, der irgendwann in den späten 70ern in der Gegend ziemlich bekannt war.
Ich kriege aber die Kurve und starte um halb neun vor der Tür die Elektrik. Heute ist ein ganzes Stück Weg geplant. Ich bin gespannt, wie ich vorankommen werde.
Ich wähle nicht den direkten und kürzesten Weg zurück auf den Bonifatiusweg, sondern besuche noch zwei Sehenswürdigkeiten, die ich gestern wegen der wetterbedingten Abkürzung ausgelassen hatte.
Direkt am Ortsausgang erreiche ich noch im Morgentau die Weidenkirche. Ich weiß nicht, was ich eigentlich erwartet hatte, bin aber doch sehr überrascht: Ein umgestülpter, lebender Weidenkorb! Von der Konstruktion hätte ich architektonisch dennoch mehr erwartet. Zwar sieht sie aus wie ein Dach über dem Kopf, aber es regnet trotzdem wohl rein.

Bonifatius-Route Steinberg Eselsbrücke

Die Eselsbrücke.

Ein netter Ort, aber ich bin so kurz nach dem Loslaufen definitiv noch nicht in der Stimmung, irgendwo länger zu verweilen. Also stapfe ich durch die sonnigen Felder ein wenig den Hügel hoch und wieder runter um kurz drauf über die historische “Eselsbrücke” die Nidder zu überqueren. Auch das ein netter Platz für eine erfrischende Rast in drückender Hitze. Aber auch, wenn es nun zehn Minuten später ist, zu früh zum Rasten ist es immer noch, und auch nicht drückend heiß!
Am Waldrand entlang geht es auf den Kamm des Hügels, und dort erreiche ich den offiziell markierten Bonifatiusweg wieder. Der begrüßt mich solide geschottert und von den Regenfällen der Nacht bestens erholt.

Kurz noch habe ich Kontakt mit etwas Zivilisation – der Ortsrand von Glashütten zeigt mir noch zwei sehr spezielle Gärten.

Für eine ganze Weile verlasse ich nun die Zivilisation, die nächste Ortschaft werde ich in etwa 20 Kilometern durchqueren. Bis dahin ist zwar immer Mal ein Weiler oder ein Hof in der Nähe, aber die Strecke verspricht keine großen Menschenmassen. Das Wetter ist herrlich, und es geht zwar recht schnörkellos aber doch meistens leicht ansteigend in Richtung Nordosten. Dort grüßt aktuell noch relativ weit entfernt der Hoherodskopf.

Einsam wandere ich durch die landwirtschaftlich genutzte Landschaft. Na, nicht ganz einsam: Im Wald Treffe ich eine Pfadfindergruppe, die auf dem Weg Richtung Gedern ist. Die Jungs fragen mich nach Position und Weg und es ist für mich ein äußerst seltsames Gefühl von verkehrter Welt, das Telefon zu nehmen und ihnen damit die exakte Position auf ihrer Papier-Faltkarte zu zeigen. Sie waren deutlich überrascht, dass ich nicht mal eine eigene Karte dabei habe, sondern tatsächlich alles mit dem Telefon mache…

Bonifatius-Route Eierkurve

Eierkurve. Ein schöner Name für einen Rastplatz.

Landein, landaus geht es zügig weiter, ich komme gut voran, obwohl mich der permanente leichte Anstieg schon ein wenig hungrig macht.
Was hier auffällt ist, dass die Maisfelder mit Eletrozäunen eingezäunt sind. Kurz sorge ich mich, ob der gentechnisch veränderte Mais vielleicht gelegentlich Ausbruchsversuche wagt und ich möglicherweise in akuter Gefahr schwebe, assimiliert zu werden. Dem ist aber wohl nicht so (sonst würde ich ja nun nicht mehr schreiben können.). Vielmehr sagen mir die Spuren auf und neben dem Weg, dass es hier eine überaus aktive Wildschwein-Population zu geben scheint. Zu sehen kriege ich keine, riechen kann ich sie auch nicht, aber die Spuren sind eindeutig.

In der Nähe von Sichenhausen passiert das schier Unglaubliche: Ungefährt dort, wo eine Bank zum Rasten stehen sollte, steht tatsächlich eine Bank zum Rasten! Na, wenn das kein besonderes Zeichen des heute gut gelaunten Universums ist!

Frisch gestärkt stelle ich mich dem letzten Anstieg bis zum höchsten Punkt des Weges. Die Aussicht ist kurzweilig und erfrischend.

Kurz bevor ich erkennen kann, daß der Weg definitiv nicht über den Hoherodskopf, sondern die Kuppe südlich davon führen wird, schlängelt er soch um die knubbelligen Spuren einer vulkanischen Eruption.

Relativ kurz hinter der Höhe treffe ich noch einen alten Schweden, buchstäblich.

Die letzten Eiszeiten hatten vor ihren Gletschern Steine gen Süden transportiert. Warum sie sie am Ende auch noch den Berg – der damals schon da war – hochgeschoben haben mögen, bleibt wohl ihr Geheimnis. Aber noch heute sieht selbst das laienhafte Auge, daß dieser Stein erstens von seiner Beschaffenheit nicht hierher gehört und zweitens zu groß ist, um mal eben als Kunstwerk zu Dekorationszwecken von Menschenhand hierher gebracht worden zu sein.

Auch ein schöner Platz zum Rasten, aber ich bin gut drauf und habe noch etwas mehr vor, also weiter…

Von nun an geht es merklich bergab, es wird etwas kühl im Schatten. Ohne große Vorwarnung erreiche ich einen der ganz zentralen Verkehrs-Knotenpunkte im Vogelsberg – ich glaube, das heißt Flößer-Haus.

Bonifatius-Route Vogelsberg Schwarzbach

Der Schwarzbach, hier eher inkognito in grün unterwegs.

Von nun an fällt der Weg etwas entschlossener ab in Richtung Hochwaldhausen, das ich bei etwa 22 Kilometern erreiche. Während es so durch den Wald bergab geht, plätschert nebenher mit zunehmender Lautstärke ein sehr netter Bach mit ziemlich erfrischendem Wasser. So erfrischend, daß ich meinen Vorrat auffülle.

Ich erreiche die Zivilisation, die mich eher verhalten empfängt, wenngleich ich die Gemeinde der Länge nach entlang der Hauptstraße durchmesse.
Cappuccino und gedeckter Apfelstreuselkuchen wären nett gewesen, stattdessen gibt es eher abweisende Häuser eines Straßenkaffs mit einer Eigenheit: Zwar gibt es hier Hausnummern, jedoch sind die im Vergleich zu den eher in Frakturschrift auf blauen Schildern angebrachten Namen der Bewohner absolut unauffällig.
Gegen Ende des Ortes drehe ich noch einen Hoffnungs-Schlenker, aber auch hier kein herzliches Café mit hausgemachtem Kuchen, nicht mal eine schlichte Tankstelle mit Pappbecher-Instant-Kaffee!

Bonifatius-Route Vogelsberg Nösberts-Weidmoos Pilgertomaten

Ein netter Zug, nur eventuell am falschen Ort!

Kaffeedurstig geht es weiter durchs Grün, ich streife Nösberts-Weidmoos eine gute Stunde später bei etwa 27 km. In einem der Häuser hat man offensichtlich ein Herz für Wanderer. Hier gibt es nicht nur eine Stempelstelle mit recht umfangreichen Informationen zum Weg, sondern auch erfrischende Speise – zumindest theoretisch.

Eigentlich reicht es mir jetzt, so richtig bin ich dieses Wochenende nicht im Wandermodus angekommen. Aber es hilft ja nix, hier gibt es außer eventuell dem Betteln um einen privaten Schlafplatz keine Übernachtungsmöglichkeit. Zudem scheint es jetzt komplett flach weiterzugehen. Und so fürchterlich weit kann es ja nun nicht mehr sein.
Um Kilometer 30 folgt noch Steinfurt, in aller Ruhe und Beschaulichkeit. Die Landschaft gibt wenig neue Eindrücke, und so geht der Kopf langsam dahin, wo er beim Wandern gehört: Weit weg.

Bonifatius-Route Vogelsberg Blankenau Vorgarten

Weisheit im Vorgarten!

Eine gute Stunde später erreiche ich Blankenau. Im Vorfeld hatte ich gelesen, daß die Kirchengemeinde dort ein Herz für Pilger hätte. Dennoch lese ich interessiert die Liste der am Ortseingang beworbenen anderen Unterkünfte am Weg. Ich versuche erfolglos, eine oder zwei davon anzurufen. Naja. Sicher komme ich unterwegs drank vorbei. Blankenau ist ja nicht so groß. Tatsächlich komme ich kaum irgenwo vorbei, und ein Gespräch im Vorgarten macht echt Lust auf mehr: Faktisch gibt es in diesem Ort seit Anfang dieses Jahres keine Pension mehr, und auch keine Kneipe (!).

Also ist die Kirchengemeinde meine einzige Hoffnung. Ich erreiche das alte Schulgebäude, und da ist tatsächlich auch die Tür offen. Drinnen wuselt eine Horde Messdiener um Zutaten und Pizzateig.  Eine der Betruerinnen sagt mir, daß die Unterkunft nicht hergerichtet wäre und versucht, denjenigen zu erreichen, der sich normalerweise darum kümmert. Der ist nicht da. Sein Vertreter ist gerade auf dem Sprung, er ist heute Abend eingeladen. Auh weh…
Aber die Gemeinde fühlt sich an der Ehre gepackt und entwickelt unerwartete Dynamik. Nach zwanzig Minuten ist der Schlüssel aufgetrieben und ich habe ein sehr ordentliches Vierbett-Zimmer für mich.
Ich schnaufe noch einen Moment barfuß am ehemaligen Brunnen auf dem Vorplatz aus, bevor die Sonne verschwindet. Mir dampfen echt die Füße, aber Blasen habe ich keine.
Noch bevor ich das Bett bezogen habe, klopfen die Messdiener an und versorgen mich zwar nicht mit Pizza aber immerhin mit überschüssigen Zutaten. Als hätte ich so etwas geahnt habe ich Roggenbrot und Landjäger im Rucksack, und beides ist gestern auch trocken geblieben.

OK, es ist etwas zäh, eine warme Mahlzeit und ein Bier wären auch nett gewesen. Diese Hoffnung wurde allerdings schon zerschlagen als ich das Zimmer bezog und auf dem Tisch neben den Speisekarten verschiedener Lieferdienste einen Zettel sah, auf dem meine Vorgänger in einer manuellen Addition geprüft haben, ob sie mit ihrer Bestellung die Wertgrenze für die kostenlose Flasche Wein in der Lieferpizzeria knacken. Aber ich habe ein Dach über dem Kopf, meine Ruhe und eine ordentliche Dusche. In Ermangelung anderer Alternativen wird es dann wieder mal schnell Nacht um mich herum.

Fazit des Tages:
Ein erwartungsgemäß langer Tag in fast absoluter Einsamkeit. Faszinierend,daß so etwas so nah an einem wirklich brummenden Ballungsraum möglich ist. Wenn Bonifatius in der Gegend hier Missionar war, hat er bei der Bevölkerungsdichte sicher eine ziemlich ruhige Kugel geschoben!
Praktisch aus dem Stand ist so ein relativ langer Tag doch recht anstrengend. Aber schön!


 

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